das portrait: Jason Osbornes Lust an der Qual
Während sein Partner im Boot, Jonathan Rommelmann, unmittelbar nach der Zieldurchfahrt den Iren gratulierte, in dem er den erhobenen Daumen in die Richtung der Konkurrenten erhob, versank Jason Osborne in seine eigene Welt. Der Ruderer ließ sich nach hinten fallen, schloss die Augen und versuchte, die nahende Ohnmacht abzuwenden. Schlag für Schlag hatte der 26-Jährige alles aus sich herausgepresst. Osborne liebt diese Augenblicke. Der Augenblick der vollkommenen Erschöpfung löst in ihm ein Glücksgefühl aus – und deshalb sucht er es auf verschiedenen Wegen.
Im Leichtgewichts-Doppelzweier hatten sich Rommelmann und Osborne mit den favorisierten Iren über etwa 1.700 Meter ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, nach 1.200 Metern noch geführt, im Schlussspurt aber keine Chance mehr. Silber.
Für Osborne bedeutet das olympische Finale eine Zäsur, denn er plant einen Umstieg. Der 26-jährige Mainzer strebt den Wechsel ins Profilager als Straßenradfahrer an. Mit dem Weltmeistertitel im eCycling im Dezember hat er sich dafür interessant gemacht. „Radfahren ist für die Kondition, Rudern ist für die Technik“, sagt Osborne. Auf der Onlineplattform Zwift quält er sich und misst sich bei virtuell ausgetragenen Rennen mit Konkurrenten aus der ganzen Welt.
Gemeinsam mit dem Weltradsportverband UCI richteten die Zwift-Betreiber erstmals eine WM aus. Bei den Männern waren unter anderem die Weltklasse-Straßenfahrer Victor Campenaerts (Belgien), oder Kletterspezialist Rigoberto Uran (Kolumbien) mit am Start. Osborne, der 2018 Weltmeister im Leichtgewichts-Einer bei den Ruderern geworden war, stach die komplette Konkurrenz aus und sicherte sich den ersten WM-Titel in der modernen Sportart, die wegen der Coronapandemie weltweit großen Zulauf erhalten hat.
In der nahen Zukunft hofft er auf einen Profivertrag. Kontakte wurden bereits geknüpft. „Ich möchte gucken, was so geht“, sagt Osborne. Es ist wahrscheinlich, dass er sich längst mit einem Rennstall einig geworden ist, vor dem 1. August dürfen Verträge jedoch nicht öffentlich gemacht werden. „Im Hintergrund habe ich gute Leute, die gute Arbeit für mich gemacht haben“, verriet er.
Für immer muss der Abschied von der Regattastrecke nicht sein. Osborne hält sich bewusst eine Tür offen. „Ich schließe nicht aus, dass ich in Paris 2024 beim Rudern starte“, sagte er. Möglicherweise kehrt er auch als Radsportler zu den Olympischen Spielen zurück, so genau weiß das niemand. Sicher ist nur, dass er bereit sein wird, die letzte Energiereserve aus seinem Körper zu quetschen.
Michael Wilkening
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