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das portraitJörg Sievers will ein neues Abenteuer

Verlässt Hannover 96: Jörg SieversFoto: dpa

Ein paar Lektionen von Jörg Sievers hätten ihnen noch gutgetan. Die Torhüter von Hannover 96 haben vom langjährigen Torwarttrainer sehr viel über gute Paraden und ein gutes Stellungsspiel gelernt. An den Tücken im täglichen Umgang hätte er mit ihnen bestimmt auch noch gearbeitet. Der aktuelle 96-Schlussmann Ron-Robert Zieler zum Beispiel tut sich eher schwer, mit Fans zu plaudern oder Autogrammwünsche unkompliziert zu erfüllen. Sievers war anders. Freundlich, bodenständig, offen: Der 54-Jährige hat mehr als 30 Jahre lang als Spieler und Torwarttrainer verkörpert, was den Generationen nach ihm schwerfällt. Er ist authentisch. Das wird fehlen.

Warum verlässt ein lokaler Held wie er nicht nur 96, sondern auch Hannover? Sievers erhofft sich beim schottischen Erstligisten Heart of Midlothian ein Abenteuer und ist in Edinburgh Co-Trainer des früheren 96-Trainers Daniel Stendel. Eigentlich verwundert das. Denn mehr Abenteuer als in drei Jahrzehnten für und mit Hannover 96 kann es gar nicht geben. Sievers hat inklusive des aktuellen Übungsleiters Kenan Kocak unter 33 Cheftrainern gearbeitet. Es ist unverständlich, wie man es so lange bei einem so sprunghaften Verein aushalten kann.

Sein Abgang war stilvoll. „Vielleicht ist es nach 30 Jahren auch die letzte Chance, etwas Neues zu machen“, sagte Sievers vor seinem Abflug. „Mein Gefühl hat mir gesagt, dass es Zeit für etwas Neues ist.“ Sein Wechsel bringt auch monetäre Vorteile mit sich. In Hannover war Sievers stiller Zuarbeiter im dritten bis vierten Glied. In Edinburgh ist er neben Stendel der gutverdienende, zweite Trainer eines Erstligisten mit viel Tradition. Heart of Midlothian bekommt einen Mann mit viel Herz. Letzteres wird bei Hannover 96 lange schon vermisst.

Bei Hannover 96 suchen alle nach dem Grund und einem möglichen Streit, mit dem sich der plötzliche Verlust von Sievers erklären ließe. Es bleibt rekordverdächtig, dass es ein so gutmütiger Mann wie Sievers mehr als 20 Jahre lang unter dem Regiment von 96-Präsident Martin Kind ausgehalten hat. Letzterer hat die sportliche Leitung seines Vereins damit beauftragt, eine Lücke in der Belegschaft zu schließen, die sich nicht so einfach schließen lässt. Sievers war bei 96 Profi, Stammtorhüter, Pokalheld, Kapitän, Publikumsliebling und schlichtweg eine Ikone. Dass er abgetreten ist, werten echte Anhänger als elementaren Schaden für die Seele ihres geliebten Vereins. Christian Otto

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