das portrait: Berliner Senatorin Regine Günther verabschiedet Mobilitätsgesetz
So manche Flasche Schampus wird am Donnerstag durch die Kehlen Berliner Verkehrs- und UmweltaktivistInnen geflossen sein: Deutschlands erstes „Mobilitätsgesetz“, das den Abschied von der autogerechten Stadt einläutet, ist beschlossene Sache. Und wie immer, wenn mal etwas geklappt hat, gibt es ganz viele Mütter und Väter des Erfolgs: die extrem rührige Berliner Fahrradlobby. Die Grünen. Die seit 2016 amtierende R2G-Koalition. Und natürlich die von den Grünen nominierte, parteilose Verkehrssenatorin Regine Günther.
Genau bei diesem Punkt gehen die Meinungen in der Hauptstadt aber ziemlich auseinander: War Günther wirklich eine treibende Kraft bei diesem möglicherweise Epoche machenden Gesetz? Oder hatte sie in Wirklichkeit die ganze Zeit den Fuß auf der Bremse? Letzteres glauben viele der AktivistInnen, die Ende 2015 die Initiative Volksentscheid Fahrrad gründeten, ein Radgesetz formulierten und dafür in wenigen Wochen fast 100.000 Unterschriften sammelten. Der politische Druck war enorm, und der bald darauf neugebildete rot-rot-grüne Senat mit Günther an der Spitze des Verkehrs- und Umweltressorts konnte gar nicht anders, als ihm nachgeben.
Dass dann noch einmal anderthalb Jahre vergehen mussten, wurmte die Bewegung aber enorm – und mehr noch, dass unter Günthers Ägide ein völlig neuer, weniger radikaler Gesetzestext entstand. Zwar unter Beteiligung der Gruppen und Verbände, aber immer mit der Betonung darauf, dass dies ein „Dialog“ sei, keine „Verhandlungen“, wie die Fahrrad-LobbyistInnen es nannten.
Die einen sehen es halt so, die anderen so. Zur taz sagte Günther vor Kurzem, aus ihrer Sicht sei das Gesetzgebungsverfahren extrem schnell gewesen: „Ich finde: turbo!“ Dass NGOs am Tempo solcher Prozesse herumkrittelten, sei schon in Ordnung. „Wenn es den Tatsachen entspricht. Wenn es das nicht tut, ist es auch meine Freiheit, meine Position zu vertreten.“
Genau hier liegt der Punkt, der die Erwartungen an die Senatorin in die Höhe getrieben und zum Fremdeln in der Rad-Szene beigetragen hat: Günther selbst war lange NGO-Aktivistin. Die 56-Jährige, die in den Achtzigern nach Berlin kam, um an der Freien Universität Politikwissenschaft zu studieren, leitete anderthalb Jahrzehnte das Klima- und Energiereferat des WWF Deutschland. Vor ihrer Abwerbung in den Berliner Senat war sie Generaldirektorin für Politik und Klima der Umweltorganisation.
Dass Günther eine ausgewiesene Klimaschutzexpertin ist, merkt man auch daran, dass sie sich in einem Gespräch über Verkehrspolitik erst so richtig warm redet, wenn es um die Verringerung des automobilen Ausstoßes von CO2 geht. Das gehört auch zu ihrem Aufgabenbereich, und hier hat sie es mit der versuchsweisen Anordnung von Tempo 30 auf mehreren Durchgangsstraßen geschafft, von der Opposition aus CDU, FDP und AfD als „Anti-Auto-Senatorin“ gelabelt zu werden.
Von vielen Seiten bläst Regine Günther also Wind ins Gesicht. Sie selbst wird ihn wohl als Fahrtwind interpretieren. Claudius Prößer
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