das neue tempodrom: Kathedrale oder Zirkuszelt?
Viele meckern, alle sind gespannt
Das Nomadentum hat ein Ende. Treu ist die Fangemeinde dem Zelt hinterhergewandert. Jetzt steht sie vor dem festen Bau, ein bisschen eingeschüchtert und – vor allem – misstrauisch. Jetzt, wo das Tempodrom gewissermaßen aus dem Obdachlosenstatus herausgefunden hat, sei doch eh der Ofen aus. Die Entwicklung weg von der Alternativkultur hin zum kulturellen Establishment habe jetzt auch das Tempodrom erwischt, orakeln berufsjugendliche Enddreißiger, die ihre wilden Jahre in den Zelten verbrachten.
Dabei scheinen sie ganz zu vergessen, dass das Tempodrom nie brav alternativ war. Oder haben sie die Catcher-Kämpfe und Strip-Shows der Bikertreffen ganz vergessen? Und was ist alternativ an den Ärzten oder der Berliner Rheumaliga? Gemeint ist wohl eher die kreative Atmosphäre der Zelte und Zirkuswagen mit ihrer Message: „Hier wohnen wir und verwirklichen uns einen Traum.“ Nun, das ist tatsächlich endgültig vorbei, und man wird sehen, ob es die Aura des neuen Hauses schafft, vergleichbare Sehnsüchte zu stillen.
Als „edle Kathedrale“ bezeichnete die Süddeutsche Zeitung das Haus. Angesichts von tonnenweise Sichtbeton und spartanischer Innenarchitektur ziemlich übertrieben. Selbst die Vertreter des Senats, die nun im Stiftungsrat das Sagen haben, mussten zugeben, dass die Stadt so viel umbauten Raum kaum billiger hätte kriegen können. Zwar klingt die Summe von 60 Millionen Mark astronomisch, doch der Bedarf für eine solche Halle ist, seit das Tempodrom seine Zelte abgebaut hat, vorhanden.
Rund 200.000 Besucher pilgerten jährlich zum alten Tempodrom. Mit dem neuen Haus will man versuchen, die doppelte Zahl anzusprechen. Das ist nicht ganz unrealistisch, schließlich ist das Tempodrom nun ein Ort für 365 Tage im Jahr und nicht nur für eine Sommersaison. Der langjährigen Anhängerschaft der Moessinger-Arche sei geraten, erst einmal abzuwarten. Sicherlich wird vieles anders, hoffentlich auch einiges besser. Oder hat das schale Kindl-Bier aus Plastikbechern etwa jemandem geschmeckt? taz
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