das ding, das kommt: Gestohlener Gral von Oldenburg
Es ist schon recht eigenartig: Da gerät Graf Otto von Oldenburg 989 auf der Jagd in Durstnot, ruft die Götter an. Geschwebt kommt eine Fee, die ihm ein Trinkhorn reicht und seinen Nachkommen den Untergang prophezeit, falls er ablehnt. Der Graf, misstrauisch geworden, schüttetet es aus. Und siehe da, ein Teil der Flüssigkeit versengt seinem Pferd das Fell. Aber anstatt das Trinkhorn wegzuwerfen, nimmt er es mit und deponiert es in seiner Sammlung.
Mal ehrlich: Wer würde so ein Teil bei sich haben wollen? Oder wurde das Horn erst durch das Misstrauen des Grafen verflucht? Weiß man nicht; wohlweislich klafft eine Lücke zwischen der Legende und der Materialisierung des Horns. Oder wurde die Legende erst im Nachhinein erfunden, um die stetigen Zwistigkeiten der Oldenburger der Grafen zu erklären? Manches spricht dafür.
Wie auch immer: Das mit vergoldetem Silber überzogene Original mit Burgen, Menschen, Fabelwesen, Sagen- und Kriegsszenen – allesamt bis heute rätselhaft – wurde 1475 in einer Kölner Goldschmiedewerkstatt gefertigt. Und zwar als „Sühnegabe“ des dänischen Königs Christian I., der sich wohl von einem Vergehen reinigen wollte. Jedenfalls schenkte er das Horn dem Kölner Dom, genauer: den dort angeblich bestatteten Heiligen Drei Königen, denen ein Weihespruch auf dem Pokal gilt.
Weniger heilig war, dass ein Geistlicher aus dem Oldenburger Grafenhaus das Horn während der Reformation stahl und nach Oldenburg holte. Dort lagerte es seit 1592 in der Silberkammer des Grafen Anton Günther von Oldenburg und Delmenhorst, wurde Gästen als „Willkomm-Pokal“ gereicht. Ob irgendein Magen oder Pferdefell zu Schaden kam, ist nicht überliefert. Ein Besucher soll den Wein mal ausgespuckt haben, weil das Horn oxidiert war, aber das kann man nicht dem Fluch anlasten. Klar ist indes, dass das Horn nach dem Tod des Grafen qua Erbfolge nach Kopenhagen kam und seit 1824 auf Schloss Rosenborg weilt.
Allerdings fertigte man bald Kopien an, von denen eine im Landesmuseum Oldenburg, eine im Museum für Hamburgische Geschichte und eine in Privatbesitz verwahrt wird. Alle drei stehen jetzt im Zentrum der Schau „600 Jahre Wunderhorn“ im Landesmuseum Oldenburg. Darin geht es auch um die Wirkungsgeschichte des Wunderhorns, dessen Faszination fast an die des Heiligen Grals heranreicht.
Prominentes Beispiel ist Clemens Brentanos und Achim von Arnims von 1805 bis 1808 edierte Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ mit Volksliedern vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert, die einen Streit über das angemessene Ausmaß an Redigat lostrat. Und die Rezeption währt bis heute. Weshalb die Schau unter anderem das 2015 entstandene Bild „Des Knaben Wunderhorn“ des Hallenser Malers, Grafiker und Objektkünstlers Moritz Götze zeigt. Petra Schellen
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