das ding, das kommt: Gemauerte Tristesse
Den Glasbaustein erinnern wir als Requisit von Treppenhäusern und Badezimmern in Nachkriegs-Wiederaufbauten oder bescheidenen Architekturen aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Als wäre seine geriffelte oder ornamentierte Tristesse nicht schon genug gewesen, kamen derartige Belichtungsfelder gern noch mit ein paar farblich eingestreuten Einzelsteinen in pastelligen Gelb-Grün-Blau-Tönen daher.
Dabei war der Glasbaustein zur Zeit seiner Erfindung und technischen Perfektionierung im frühen 20. Jahrhundert ein revolutionäres Produkt: Er bereicherte das Bauwesen um extravagante Realisierungen, denn er vereinte auf glückliche Weise gleich mehrere positive Eigenschaften. Der Stein aus Glas ließ sich zu, wenngleich nicht statisch tragenden, so doch raumabschließenden großen, lichtdurchlässigen Außenflächen vermauern, ein erklärtes Ziel des neuen, internationalen Bauens. Zur Stabilisierung solch semitransparenter Wände reichten feine Skelette aus Stahl oder Beton, denn der Stein musste nicht, wie große Fensterflächen, konstruktiv abgetragen werden, er trug sich selbst, ähnlich Mauerwerk.
In seiner gebräuchlichen Ausführung als Hohlglasbaustein aus zwei Pressglashälften mit Vakuum im Innern erreichte er auch ganz passable Wärmedämmeigenschaften: Anders als bei der im frühen 20. Jahrhundert üblichen Einfachverglasung fiel an der Rauminnenseite einer Glasbausteinfront kaum Kondenswasser aus. Das prädestinierte ihn für Wohnhäuser, wie Pierre Chareau 1932 in Paris mit dem Umbau eines Stadtpalais zur „Maison de Verre“ demonstrierte: Die neuen Hoffassaden sind komplett aus Glasbaustein errichtet, die zweigeschossige vor der hohen Bibliothekshalle als freitragende Konstruktion.
Man muss aber nicht bis nach Paris schauen. Carl Krayl etwa versah 1927 die Treppenhalle der AOK Magdeburg mit einer mehrgeschossigen Glasbausteinfassade. Für die Lichtdecke der Kundenhalle, mittlerweile leider durch eine Verkleidung kaschiert, kamen sogenannte Luxfer-Prismen zum Einsatz, massive Vollglassteine für Deckenkonstruktionen. Die setzte ebenfalls Otto Haesler ein, 1928 in der zentralen Mehrzweckhalle der Altstädter Schule in Celle, auch sie leider verunstaltet.
Heute wird der Glasbaustein fast nur noch für Innenwände verwendet – oder in der Kunst. Die Künstlerin Monika Knaack etwa verwendet ihn nun als transparenten Bildträger für Prominenten-Porträts, die sie zu Karikaturen zerfließen lässt. Bettina Maria Brosowsky
Monika Knaack: „Ein-Steine“, Books on Demand 2020, 88 S., 17 Euro (E-Book 5,99 Euro)
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