das ding, das kommt: An der Elbe ein Evergreen
Darf man oder darf man nicht? Ja, diese Frage ist gestellt worden, sogar vor ein paar Jahren noch – und das kann verwundern. Denn es geht darum, ob Johannes Brahms’„Deutsches Requiem“ in einer Kirche aufzuführen sei oder gerade nicht. Schließlich sei der 1833 in Hamburg geborene Mann, naja, kein Atheist, aber doch ein religiöser Freigeist gewesen, wenn auch einer, der jeden Tag in der Bibel geblättert haben soll. Und sein „Requiem“, deutsch betextet, statt in Latein, gelegentlich als „humanistisch“ bezeichnet: Dass sie bei Kirchens Probleme haben könnten mit so einem, das ist insofern plausibel.
All das erscheint einem aber ziemlich fern im novembergrauen Hamburg: Den so sehr Trauer und Gedenken gewidmeten Monat hindurch überbieten sich die dortigen Kirchen mindestens seit dem Jahr 2000 geradezu darin, Aufführungen des Requiems zu beherbergen – das im engen Sinne wiederum gar keines ist, sondern „ein Werk, das für die Lebenden bestimmt ist“; so formulierte es mal der Brahms-Biograf Malte Korff. Und am dicksten unterstrichen im Kalender hat den Brahms der „Michel“, also die Hauptkirche St. Michaelis in der Hamburger Neustadt.
Nicht nur, dass er am heutigen Samstag wieder dort erklingt – zusammen mit Max Regers Eichendorff-Vertonung „Der Einsiedler“ aus dem Jahr 1915 – und überhaupt nirgends so oft gespielt wird wie in der Stadt an der Elbe. Nein, Brahms’heute so bekanntes Stück erlebte im Michel auch die erste Aufführung in Hamburg überhaupt: am 23. März 1869. Früh war das insofern, als das Requiem gut einen Monat zuvor überhaupt zum ersten Mal komplett gespielt worden war, am 18. Februar in Leipzig. Davor war es in Teilen schon zu erleben gewesen: die ersten drei Sätze Ende 1867 in Wien, und eine sechssätzige Version im April 1868 dann im Bremer Dom. Damit aber war der Komponist nicht zufrieden und fügte schließlich das Sopran-Solo „Ihr habt nun Traurigkeit“ hinzu.
Bei der Hamburger Premiere vor hundertfünfzigeinhalb Jahren hätten die Hamburger übrigens gern den so talentierten Sohn der Stadt am Pult begrüßt – Brahms aber hatte keine Zeit. Beziehungsweise, anderen Lesarten zufolge, kein gesteigertes Interesse, den undankbaren Hanseaten zu gefallen, nachdem die ihn nicht hatten haben wollen als Dirigenten für ihre „Philharmonische Gesellschaft“.
Wo wir aber bei wichtigen Posten sind: Seinen Abschied nimmt mit der nun anstehenden „Requiem“-Aufführung Christoph Schoener, der lange am Michel die Kirchenmusik verantwortete und in dieser Funktion auch die Hamburger Brahms-Tradition wiederbelebte: das Bußtags-Konzert, seit dem Jahr 2000 immer am Vorabend des Ewigkeitssonntags gegeben. Alexander Diehl
Johannes Brahms: „Ein deutsches Requiem“ und Max Reger: „Der Einsiedler“: Sa, 23. 11., 18 Uhr, Hamburg, St. Michaelis
Live-Übertragung auf NDR Info
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen