das ding, das kommt: Evastöchter unerwünscht
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Wenn es bloß um den Lippenstift und um Mode gegangen wäre! Dann hätte man den Disput um die Ordination von Pfarrerinnen im hannoverschen Kirchenparlament entspannt belächeln können. Aber bei der Debatte über die Frage, ob Frauen fürs Pfarramt zugelassen werden, ging es um Macht. Um die Abwehr der Herren der Schöpfung, die keine Konkurrenz wollten und munkelten, dass Frauen – Evastöchter allesamt – keine Gemeinde führen könnten.
Diese Debatte erinnert ans Mittelalter, dabei liegt sie bloß 50 Jahre zurück: „Talar und Lippenstift – 50 Jahre Frauen im Pfarramt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Braunschweig“ heißt eine Schau in der Stiftskirche Bad Gandersheim, die auch geistliches Frauenleben vom Mittelalter bis heute nachzeichnet. Denn das Gotteshaus war von 881 bis 1802 Kanonissenstift und beherbergte die erste deutsche Dichterin Roswitha von Gandersheim (935–975), die frühe feministische Texte schrieb, mit starken Heldinnen. Dahinter fällt die Debatte der 1960er-Jahre über die Frauenordination stark zurück. „Heiratet das Zeug doch weg“, soll ein Pastor Anfang der 1960er-Jahre in die Runde gerufen haben. Andere meinten, auch Jesus habe nur männliche Apostel gehabt.
Geholfen hat es nichts: Am 13. 12. 1963 erließ die hannoversche Landessynode nach langem Zögern und Vertagen das „Pastorinnengesetz“. Zunächst mussten die Pastorinnen allerdings im Tandem mit männlichen Kollegen arbeiten, damit die Schäfchen jederzeit auf einen männlichen Seelsorger zurückgreifen konnten. Statt des Talars wurde den ersten Pastorinnen zudem eine talarähnliche Amtstracht verordnet. Dass Pastorinnen noch bis 1969 bei Heirat ihr Amt niederlegen und erst seit 1978 auch schwanger predigen durften, wundert einen dann auch gar nicht mehr.
Heute ist in der hannoverschen Landeskirche ein Drittel der Pastor*innenstellen von Frauen besetzt; zwei Drittel der Vikar*innen sind weiblich. In die Leitungsebene dringen Pastorinnen aber genauso schwer vor wie in der freien Wirtschaft. Weswegen die Landeskirche ein Gleichstellungsgesetz sowie ein Mentoring-Programm auf den Weg bringen will. So weit wie die Heldinnen der Roswitha von Gandersheim sind die Pastorinnen des 21. Jahrhunderts noch nicht. Petra Schellen
„Talar und Lippenstift“: bis 30. September, Stiftskirche Bad Gandersheim
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