crime scene: Um nichts Geringeres als die Macht des Rechtsstaats
Der Autor Bijan Moini verdiente, bevor er beschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen, sein täglich Brot als Jurist. Auch als Schriftsteller bleibt er seinem alten Beruf in thematischer Hinsicht treu. In seinem Debüt „Der Würfel“ entwarf Moini das Bild einer möglichen zukünftigen Gesellschaft, in der grundlegende Persönlichkeitsrechte zugunsten eines alles bestimmenden Algorithmus aufgegeben wurden. Und auch sein gerade erschienener zweiter Roman, „2033“, ist eine politisch-juristische Dystopie, genauer, eine gar nicht so unwahrscheinliche Zukunftsvision, die – schon die titelgebende Jahreszahl zeigt es an – von unserer Gegenwart aus ohne Weiteres vorstellbar wäre: Im Jahr 2033 wird die deutsche Bundeskanzlerin von der rechtsradikalen Partei „Aufstand“ gestellt, seit diese die letzten Wahlen gewonnen hat. Die gesellschaftspolitische Stimmung ist aufgeheizt. Wichtigste Oppositionspartei ist die „Reform“, die stark an öffentlicher Unterstützung einzubüßen droht, seit ihre Generalsekretärin verhaftet wurde. Denn Skadi Semmerich gilt als Drahtzieherin eines Anschlags auf die Geschäftsstelle des „Aufstands“, bei dem mehrere Personen getötet wurden.
Hauptperson des Romans ist die junge Anwältin Marie Wigand, die für eine renommierte Berliner Kanzlei arbeitet. Gemeinsam mit ihrer bewunderten Chefin Ava soll sie die „Reform“-Politikerin vor Gericht verteidigen: ein politisch riskantes Unterfangen, das aber der Kanzlei viel Geld einbringen wird. Mit diesem Argument jedenfalls gelingt es Ava, die Kanzleipartner davon zu überzeugen, das Mandat anzunehmen.
Das juristische Tauziehen wird sich in der Folge als albtraumhaftes Abenteuer erweisen – zahlreiche Actionszenen inklusive, deren spektakulärste viel dramatisches Potenzial aus der Tatsache gewinnen, dass das Bundesverfassungsgericht weit von Berlin entfernt in Karlsruhe liegt. Dass die Handlung genau an diesem Ort kulminieren wird, ist natürlich ein starkes Symbol; denn es geht in diesem Roman um nichts Geringeres als um die Macht des Rechtsstaats und seine Widerstandskraft gegen Umsturzversuche durch rohe politische Gewalt. Moini zeigt sehr nachvollziehbar den nicht zu erschütternden Glauben seiner juristisch geschulten Protagonistinnen an die Gültigkeit rechtsstaatlicher Normen auch in politisch prekären Zeiten – und ihre erstaunliche Anpassungsfähigkeit an von der autoritären Regierung immer wieder willkürlich geänderte Spielregeln. Als etwa der Deutsch-Iranerin Ava qua Gesetzesänderung die deutsche Staatsbürgerschaft und damit auch die Anwaltslizenz entzogen werden soll, ist es Marie, die sogar in dieser scheinbar hoffnungslosen Situation noch ein rechtliches Schlupfloch findet.
Bijan Moini: „2033“. Atrium Verlag, Zürich 2025, 336 Seiten, 23 Euro
Der gesamte Roman ist eine Art juristisches Wettrennen zwischen den tapferen Advokatinnen der Demokratie und den VertreterInnen der faschistoiden regierenden Gegenseite, die darangeht, den Rechtsstaat mithilfe einer ruchlosen politischen Intrige zu demontieren. Selbstredend gibt es zahlreiche dramatische Gerichtsszenen, die sich auch in einer potenziellen Verfilmung gut machen würden, vielleicht sogar besser noch als im Roman. „2033“ ist ein solide geradeausgeschriebener Thriller und in erster Linie handlungsgetrieben. Dass der Autor zur zusätzlichen Steigerung der Dramatik ein durch die Klimaveränderung bedingtes Extremwetterereignis einführt, ist ein geradezu hollywoodesker Effekt, der vielleicht verzichtbar gewesen wäre. Aber gerade mit dieser etwas überbordenden Symbolik auf der Actionebene empfiehlt „2033“ sich vorauseilend schon mal als Serienvorlage. Katharina Granzin
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