crime scene: Eine junge Frau gibt nicht auf
Clark & Division ist eine U-Bahn-Station in Chicago, benannt nach den beiden Straßen, die sich über ihr kreuzen. An einem Tag im Jahr 1943 geschieht auf den unterirdischen Gleisen ein furchtbares Unglück: Eine junge Frau stirbt, eine Amerikanerin mit japanischen Wurzeln. Alle werden sagen, Rose Ito habe sich vor die U-Bahn geworfen. Doch ihre jüngere Schwester Aki, die mit den Eltern am folgenden Tag aus dem Internierungslager in Chicago ankommt, ist überzeugt, dass Rose sich niemals selbst umgebracht hätte. Tief erschüttert, aber um so beharrlicher macht die so schüchterne Aki sich auf, die Hintergründe aufzudecken, und entdeckt dabei auch neue Seiten an sich selbst.
Naomi Hirahara, selbst japanischstämmige Amerikanerin, gelingt es in diesem Roman mühelos, Zeitgeschichte mit einer Spannungserzählung sowie einem feministischen Entwicklungsroman zu verbinden. Die Situation vieler japanischer AmerikanerInnen nach dem Angriff auf Pearl Harbour spiegelt sich exemplarisch im Schicksal von Akis Familie, die, wie viele andere, zunächst schuldlos interniert und dann aus Kalifornien vertrieben wird. (Es sei kein Wunder, dass ausgerechnet die japanischstämmigen Bewohner der Westküste interniert worden seien, sagt an einer Stelle eine Romanfigur. Schließlich hätten sie den dortigen Gemüseanbau dominiert.) Doch auch in Chicago, eben in der Gegend um Clark & Division, finden Aki und ihre Eltern Anschluss an eine japanische Community. Alle drei gehen arbeiten, wenngleich die Eltern, weit unter ihrem vorigen Niveau, nur Jobs als Reinigungskräfte bekommen. Der Vater trinkt, die Mutter hält sich tapfer, und Aki spielt heimlich Detektivin und wagt sich auf ihren Erkundungsgängen sogar in finstere Etablissements. Auch zur Polizei geht sie, wo der Tod ihrer Schwester als Selbstmord abgeheftet wird. Doch Aki findet ganz im Alleingang heraus, dass Rose in der Tat etwas Furchtbares passiert ist …
Naomi Hiraharas Stil ist schnörkellos, und doch gelingt ihr eine Erzählung voller Atmosphäre und unaufdringlichem Zeitkolorit. Die Hauptperson fungiert als Ich-Erzählerin, die Perspektive auf das Geschehen ist also die einer jungen Frau Anfang zwanzig, die in den 1940er Jahren mit gesellschaftlichen Widerständen zu kämpfen hat, sich ihren Platz auch ihrer ethnischen Herkunft wegen erst erobern muss und gleichzeitig trotz der tragischen Umstände beginnt, in der Großstadt ihr Leben in Freiheit zu genießen. Friseurbesuche spielen – auch für die Kriminalhandlung – in Akis Leben keine unwichtige Rolle, und die Frage, welches Kleid zu welchem Anlass getragen werden kann, wird regelmäßig thematisiert. Wenn Aki ihre langen Haare abschneiden lässt, so wird sie damit gleichsam erstmals zu sich selbst, hat sie doch zuvor immer versucht, die große Schwester zu kopieren. Mit neuer Frisur aber ist es für diese einst so unscheinbare junge Frau endlich kein Problem mehr, das Böse dingfest und das Leben für die Frauen in Chicago ein klein wenig sicherer zu machen. Zweifellos ist in diesem Roman märchenhaftes Superheldinnentum im Spiel. Aber gegen ein Happy End in dunklen Zeiten lässt sich absolut gar nichts einwenden. Katharina Granzin
Naomi Hirahara: „Clark & Division“. Aus dem Englischen von Karen Witthuhn. Ars Vivendi Verlag, Cadolzburg 2022. 300 S., 24 Euro
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