corona in hamburg: „Es kommt darauf an, wie man streitet“
Miriam Fritz,48, arbeitet als Paartherapeutin in Hamburg und hat Germanistik und Theaterwissenschaft studiert.
Interview Nele Aulbert
taz: Frau Fritz, was macht Corona mit Beziehungen?
Miriam Fritz: Die Krise kann wie eine Turbo-Beschleunigung sein. Konflikte, die schon vor der Pandemie in der Beziehung existierten, werden sichtbarer. Es fehlt die Ablenkung, den Konflikten auszuweichen. Viele Menschen haben berechtigte existenzielle Ängste, ob jetzt finanzielle Probleme oder die Sorge um Verwandte. Dazu kommt die Ungewissheit. Gerade in den letzten zwei Wochen beobachte ich, wie dünnhäutig die Partner*innen werden. Vielen fehlt die Perspektive auf ein Ende des Lockdowns. All diese Faktoren können zu einer Trennung von Beziehungen führen.
Überrascht es Sie also nicht, dass die Zahl der Scheidungsanträge in Hamburg im Jahr 2020 um 5,5% gestiegen ist?
Nein, nicht unbedingt. Aber es gibt auch andere Zahlen, die nicht so leicht messbar sind. Ich treffe auch viele Paare, die durch den Lockdown zusammengeschweißt wurden. Es ist schön, in so einer Zeit eine*n Partner*in an der Seite zu haben. Viele Paare haben plötzlich die Zeit für einander, die ihnen im normalen Alltag immer gefehlt hat. Sie haben die Möglichkeit, sich wieder ganz neu zu begegnen.
Woran entzünden sich dann die Konflikte?
Die Konflikte in der Beziehung waren oft schon vorher da. Nur eskaliert jetzt die Streitspirale schneller. Es kommt öfter zu Situationen der Überforderung und des Stresses. Trotzdem finde ich Streiten sehr wichtig! Streit macht auch immer etwas sichtbar, das man ändern möchte, man wächst aneinander und kann sich entfalten. Es kommt darauf an, wie man streitet.
Haben Sie denn Tipps für Beziehungen im Lockdown?
Ganz wichtig ist eine klare Tagesstruktur. Wie gestalten wir den Tag? Wann nehme ich mir aktiv Zeit für mich, wann nehmen wir uns aktiv Zeit für uns? Man muss Inseln schaffen, damit jeder kommunizieren kann, welche Bedürfnisse er wann hat. Auch kleine Rituale helfen im Alltag. Zum Beispiel kann man ein gemeinsames Projekt angehen oder gemeinsam einen Podcast hören und danach über ihn reden. Es ist wichtig, das Positive an der Beziehung zu sehen und die Möglichkeiten, die man nach wie vor zusammen hat. Diese kleinen wertschätzenden Gesten sind sehr wertvoll.
Gibt es denn überhaupt noch freie Therapiestunden?
Die Anfrage nach Therapiestunden hat schon stark zugenommen. Viele Paare trauen sich jetzt zu kommen, weil die Konflikte sichtbarer geworden sind. Aber man bekommt auch weiterhin Termine, ich kann jede*n nur ermutigen. Manchmal helfen schon ein oder zwei Gespräche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen