corona in bremen: „Sie sind die Eintönigkeit gewohnt“
Stefan Heimers, 68, ist Grundschullehrer a.D., freischaffender Musiker und singt mit seiner Gitarre seit Beginn der Coronapandemie übers Telefon für und mit Menschen in Altenheimen.
Interview Alina Götz
taz: Herr Heimers, Sie singen seit einigen Wochen Bewohner:innen in Altenheimen Ständchen per Telefon. Wie kam es dazu?
Stefan Heimers: Ich habe früher als Gesangstherapeut gearbeitet und habe ein Programm, mit dem ich auftrete. Jetzt fallen bei mir natürlich auch Konzerte aus. Ich habe geguckt, was ich jetzt Sinnvolles für andere tun kann. Und da ich alte Leute gern mag und ich finde, dass sie manchmal zu kurz kommen, habe ich angefangen, ihnen Ständchen am Telefon zu singen. Dabei kann ich mich nicht infizieren, und die alten Leute haben ein bisschen Abwechslung und Freude in dieser isolierten Situation. Nun arbeite ich mit mehreren Seniorenresidenzen zusammen, die ich zum Teil auch durch Konzerte kenne.
Fehlt da nicht etwas, so ganz ohne Bild?
Schon. Ich muss den Kontakt erst ein Stück weit anwärmen. Älterwerden geht ja oft mit Hörproblemen einher, das ist manchmal nicht so leicht. Ich versuche, mich dann auf die Mitarbeitenden zu beziehen, die mich vorher angekündigt haben. Oft haben die Bewohner das aber schon wieder vergessen. Mit ein bisschen Lockerheit geht das. Die Rückmeldungen während des Ständchens sehe ich natürlich nicht – ob der Zuhörer gerade genießt, wie er guckt.
Wie läuft so ein Telefonat ab?
Ich habe eine Liste mit Liedern, die man sich wünschen kann. Das klappt nicht immer, manchmal singe ich dann einfach nach eigenem Gefühl und Bedürfnissen. Zum Beispiel Stücke von Reinhard Mey, wie „Über den Wolken“. Die Leute singen teilweise auch mit. Oder sie erinnern sich zumindest an die Melodie, dann singe ich den Refrain hinterher noch einmal. Ich benutze dabei ein gutes Mikrofon und ein Headset, mit dem ich Stimme und Gitarre möglichst gut hörbar verstärken kann. Drum herum wird ein bisschen geschnackt.
Müssen Sie auch viel zuhören?
Weniger als ich gedacht hätte. Ich habe das Gefühl, dass die alten Leute mit der Situation teilweise besser klarkommen als wir. Sie sind die Eingeschränktheit und Eintönigkeit gewohnt, die das Altwerden oft mit sich bringt.
Wie ist das Feedback?
Unglaublich gut. Das ist sehr motivierend. Ich habe daher mein Angebot zusätzlich in der Nachbarschaftsgruppe nebenan.de gepostet, darüber kam es auch schon zu Kontakten. Ich kann andere nur ermuntern, das ebenfalls zu machen. Die Frage ist ja, wie erreichen wir diese Leute im Moment eigentlich.
Wie ist die Resonanz bei den Heimen?
Sehr positiv. Aber es ist unterschiedlich, wie gut das umgesetzt wird. Bei einer Institution hat das sofort gut geklappt, da habe ich nach kurzer Zeit eine Liste mit zwölf Namen und Telefonnummern bekommen und konnte loslegen. Ich möchte den Einrichtungen natürlich so wenig Aufwand wie möglich machen. Denen mangelt es ja nicht an Arbeit.
Eigentlich sollte es diese Woche Lockerungen für die Altenheime geben. Jetzt sind sie wieder vertagt. Was halten Sie davon?
Das kann ich nicht kompetent beurteilen. Ich weiß aber von anderen Städten, dass da alte Menschen ihre Angehörigen in improvisierten Räumen durch eine Scheibe oder Ähnliches sehen und sprechen können. In dieser Richtung könnte man mehr machen. Für die alten Herrschaften muss es schrecklich sein – die wissen, dass ihre Lebenszeit begrenzt ist, und was gibt es dann noch Wichtigeres als den Kontakt zu Kindern und Partnern.
Musik ist ja auch emotional nährend.
Das finde ich auch, und das merke ich auch bei der Arbeit mit den alten Lüüt. Mir geht das Herz auf, wenn ich diesen Menschen ein Ständchen singe und mit ihnen spreche.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen