corona in bremen: „Aber doch nicht für Deutschland“
Interview Teresa Wolny
taz: Herr Ogiermann, bei der Aktion „Musiker*innen für Deutschland“ ziehen Sie nicht mit. Warum nicht?
Christoph Ogiermann: Wenn es nicht die Nationalstaatsnummer gewesen wäre, hätte ich die Mail dazu vielleicht noch weiter gelesen. Man kann so etwas für Kranke machen, für Flüchtlinge oder einfach für Menschen, aber doch nicht für Deutschland. In Zeiten einer internationalen Krise scheuen sich die Menschen trotzdem scheinbar nicht, sich auf den Balkon zu stellen und ihren Nationalstolz zu zeigen. Noch dazu ein Beethoven-Lied mit deutschem Text – spielt wenigstens die Internationale.
Ihre neue Aktion heißt „Fenster zum Hof“ – was ist das?
In loser Folge schicke ich in den nächsten Wochen per Mail Stücke herum, die Leute sich über einen wetransfer-Link anhören können. Das ist quasi mein Fensterbeitrag für diese Zeit.
Sie beschreiben Ihre Stücke als schwierig und nervig. Warum soll man sich das antun?
Schwierig und nervig gehört zur Polemik, die ich bei meinen Stücken immer wieder zu hören bekomme. Dass ich das nun selbst über meine Musik sage, ist quasi die Retourkutsche. Viele Leute empfinden das, was ich mache, als fremd. Würde es etwa aus China kommen, fänden sie es interessant, aber weil ich ihr Nachbar bin, finden sie es nervig. Aber gerade jetzt gäbe es doch mal die tolle Gelegenheit, etwas Fremdes auszuhalten, was aus der Nachbarschaft kommt. Es muss ja nicht jedem gefallen, ich sage nur: versucht’s doch mal.
Was ist das für eine Musik?
Eine, die sich dem Augenblick hingibt und so gut wie möglich versucht, das zu transportieren. Anders als viele denken braucht man dazu überhaupt keine Vorkenntnisse. Am besten kann man sie sogar eigentlich hören, wenn man alles vergisst, was man über Musik weiß, denn dann gibt es keine Erwartungen. Wenn jemand das dann nicht Musik nennt, sondern organisierter Klang oder Krach, dann ist das so, man kann es als Hörereignis betrachten.
Was können Sie gerade nicht machen?
Öffentliche Konzerte geben, was ich sonst häufig tue.
Was machen Sie stattdessen?
Aktion „Fenster zum Hof“: Musiker Christoph Ogiermann versendet neue eingespielte Stücke zum Anhören, zugänglich über den Mailverteiler christoph-ogiermann@web.de
An Stücken arbeiten, bei denen ich im Vorhinein nicht unbedingt weiß, ob das jemand hören wird. Ich bin raus aus dieser Schleife von produzieren und Geld verdienen und kann deshalb in gewisser Weise freier arbeiten als sonst.
Und das Geld?
Meine Frau ist auch freischaffend, wir sind also zwei Soloselbstständige mit Kindern und haben gerade 150 Seiten fürs Arbeitsamt ausgefüllt. Je länger es keine Konzerte gibt, desto schwieriger wird’s. Bei der Ansage, dass das vielleicht bis in die Sommerferien dauert, wird mir schon ganz plümerant.
Ihr Tipp gegen Lagerkoller?
Tanzen und schreien, sagt meine Familie.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen