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cannescannesJacques Chirac gewinnt den Algerienkrieg

Afrikanische Spiele

Manchmal benimmt sich die französische Filmbranche wie ein von allen äußeren Einflüssen abgeschlossener Stamm in Neuguinea, der den ganzen Tag nur damit beschäftigt ist, sich seinen Fruchtbarkeitsritualen zu widmen.

Nur mit dieser Rudelattitüde lässt sich erklären, dass die alltäglichste, banalste Sache der Welt, nämlich die Ablehnung eines Films durch das Auswahlgremium eines Festivals, in den letzten Tagen zu einem Skandal hochstilisiert wurde, der in den Medien inzwischen nur noch „die Affäre Amélie Poulain“ heißt. Die ganze Sache war Libération genauso viel Platz wert wie eine selbst in Auftrag gegebene Umfrage. Ihr immerhin bahnbrechendes Ergebnis ist, dass inzwischen die Mehrzahl der Franzosen der Meinung ist, ihr Staat solle sich bei den Algeriern für die systematischen Folterungen während des Unabhängigkeitskrieges entschuldigen.

Was bisher geschah: „Le fabouleux destin d'Amélie Poulin“ von dem „Delikatessen“-Regisseur Jean-Pierre Jeunet wurde von der Auswahlkommission des Festivals von Cannes auf Wunsch des Produzenten vor allen anderen französischen Filmen gesichtet – und abgelehnt. Inzwischen hat Jeunets Film, der in Frankreich seit zwei Wochen im Kino läuft, aber schon zwei Millionen Zuschauer, was den Film natürlich „unwiderstehlich“ und aus seiner Ablehnung eine „Ausgrenzung“ macht. Skandal!

Von den Hauptnachrichten im Fernsehen bis zur Sonntagszeitung empörte sich nun alle Welt in einem melodramatischen Chor, dass ausgerechnet dieses Werk, das ganz, ganz bestimmt die Goldene Palme gewonnen hätte, von den bornierten, intellektuellen, elitären Festivalmachern verschmäht wurde. Als Krönung veranstaltete der ewige Populist Jacques Chirac im Elyséepalast sogar eine private Galavorführung von Jeunets Film, was in der Öffentlichkeit wiederum als symbolisches Gegen-Cannes verstanden wurde.

Eine solche Staatskabale, die wenig über die Qualität der Filme, aber dafür einiges über den Stellenwert des Kinos in Frankreich aussagt, wirkte vor dem Hintergrund der ersten Festival-Beiträge umso alberner. Auf der Leinwand ging es nämlich gleich mit tödlichem Ernst zur Sache. Der Japaner Hirokazu Kore-Eda packt in seinem Wettbewerbsbeitrag ein Tabuthema seines Landes an: den Umgang bzw. Nichtumgang mit den terroristischen Aktionen der Aum-Sekte.

In seinem Film „Distance“ geht es um eine fiktive religiöse Gruppe namens „Bogen der Wahrheit“, die bei einem Attentat über hundert Menschen tötete. An einem Tag der symbolischen Buße versammeln sich die Angehörigen der beim Anschlag ebenfalls umgekommenen Täter an einem See in der Nähe des früheren Hauptquartiers der Sekte. Ein Zufall hält die Gruppe über Nacht in der einsamen Natur fest. Aus halb befreienden, halb belastenden Gesprächen, aus Rückblenden und Erinnerungsfetzen entsteht ein Gefühl des Verlusts, der Trauer und der Schuld, die Katastrophe nicht aufgehalten zu haben.

„Wir sind letztlich alle Verwandte von Kriminellen“, sagt Kore-Eda, der die fanatischen Sekten als Symptom einer Gesellschaft versteht, die für Sonderlinge, Outlaws und Underdogs wenig mehr als Verachtung übrig hat. Der Umgang mit Tod und Massenmord stellt sich in seinem Film als im lockeren Konversationston überspielte Erstarrung dar, die sich ganz langsam löst und am Ende in zarte Zeichen der Hoffnung übergeht.

Um einen Selbstmord und die Hilflosigkeit der zurückgebliebenen Angehörigen geht es ebenfalls in dem spanischen Wettbewerbsbeitrag „Paul und sein Bruder“ von Marc Recha. Hier wird der Tod allerdings zwei Stunden lang mit pathetischem Trinken, Kiffen und der dazugehörigen Laberei bekämpft. Vielleicht sollte man den Tod auf der Leinwand zur Zeit einfach den Japanern überlassen. KATJA NICODEMUS

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