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cannes, cannesDas Wochenende an der Croisette: Dackel treten, Englisch lernen und einen deutschen Film gucken

BYE-BYE, BRECHT

Am Wochenende ist Cannes so voll, dass man sich auf der Croisette mit nicht mehr als 50 Metern pro Stunde fortbewegen darf, will man keine Dackel zertreten oder sich von aufgebrachten Kreidekünstlern anschreien lassen, deren Renaissancegemälde man gerade zerstört hat.

Wie es sich so ergibt, kann man von den Menschenmassen bzw. ihren journalistischen Abzweigungen schon mal auf den einen oder anderen Empfang geschoben werden, den der NRW-Filmstiftung zum Beispiel.

Da hält dann deren Chef Dieter Kosslick (immer noch unbestätigter zukünftiger Berlinale-Chef) eine kleine Ansprache in einem Englisch, das noch schlimmer ist als das des Raumschiffkommandanten Armin Mueller-Stahl in „Mission to Mars“; „We have moch money, bot not mony talents“, so Kosslick. Sein Buffet war trotz des vielen Geldes aber so klein, dass ich allein – traumhaft vor dem kleinen Ecktisch positioniert – mühelos und egoistisch etwa ein Drittel davon in mich hineinstopfen konnte, ehe alle anderen die Häppchen überhaupt erreichten.

Nach Gürkchen, Speckröllchen und Heringen geht man natürlich in einen deutschen Film. Es geht um Bertolt Brechts letzten Tag in seinem Landhaus im Brandenburgischen. Sommer 1956: Der See nebelt, die Vöglein zwitschern, Helene Weigel kocht, Meisters Muse, die junge Käthe Reichel, läuft leicht geschürzt mit Blumensträußen durch die Gegend, der Dichter dichtet, während es der Philosoph Wolfgang Harich mit seiner Frau treibt – idyllische sozialistische Sommerfrische. Im Genre der biografischen Momentaufnahme geht es Schütte um die profanen Seiten des Genies, wohl deshalb sieht Brecht den Harichs einmal beim Sex zu und sagt: „Ich muss hinschauen, worüber soll ich sonst schreiben?“ „Abschied“ ist auch die Geschichte eines Verrats. Helene Weigel erfährt von Harichs bevorstehender Verhaftung und willigt ein zu schweigen, um dem herzkranken Brecht Aufregung zu ersparen. Im Abspann erfahren wir, dass Harich in der DDR zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, und es ist dieser unterschwellige Vorwurf, der den eigentlichen Nachhall des Films bildet. Zwischen dem menschlichen Versagen der Brecht-Entourage und einer mit Nymphen bevölkerten sommerlichen Saturierten-Idylle bleibt eine Leere, die wahrscheinlich die eigentliche, auch politische Herausforderung dieses biografischen Augenblicks gewesen wäre. So reproduziert „Abschied“ auf Brechts Rücken das Bild eines duckmäuserischen Sozialismus der mangelnden Zivilcourage, ohne irgendeine Analyse oder Begründung zu liefern.

Idylle, Nostalgie in eigener Sache, amerikanisches Märchen – irgendwo dazwischen liegt der neue Film der Coen-Brüder mit seinen sepiabraunen und gelb verfärbten Bildern: „O brother, where art thou?“ (Foto) biegt Homers Odyssee zum Musical der 30er-Jahre um. George Clooney, John Turturro und Tim Blake Nelson als Sträflinge, die im Mississippi der Depressionszeit aus dem Gefängnis flüchten und durch ein mythologisch verfremdetes Amerika irren. Nebenbei befreien sie einen Schwarzen aus den Händen des Ku-Klux-Clan und legen einem rassistischen Gouverneurskandidaten das Handwerk. Die Verbindung von absurd-künstlichen Welten und uramerikanischer Ethnografie will den Coens diesmal aber nicht so recht gelingen. Das übertrieben Slapstickhafte ihres Films bleibt genauso im Raum stehen wie die offenen Münder, mit denen die drei Helden ständig durch die Gegend staunen. Immerhin ist jede Menge Countrymusik zu hören, und „I’m a man of constant sorrow“ mit George Clooney als (gedoubeltem) Leadsänger macht sogar beim dritten Mal noch Spaß.KATJA NICODEMUS

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