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bush in moskauRussland ist nicht wichtig

Vor seiner Reise nach Russland ist George W. Bush dem Rat seiner Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gefolgt und hat ein Buch gelesen: „Schuld und Sühne“ von Fjodor Dostojewski, einen Klassiker über Mord, Moral und Legitimation des Tötens. Zu diesen Themen jedoch äußerte sich der US-Präsident in Moskau bisher nicht. Dabei wäre es an der Zeit gewesen, „unter Freunden“ – nicht mehr nur Partnern, wie Bush klar machte – zumindest auf die ständigen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien hinzuweisen.

Kommentarvon KLAUS-HELGE DONATH

Denn Moskau regiert im Kaukasus weiterhin mit eiserner Hand. Neben den Tschetschenen werden auch andere muslimische Minderheiten unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung aufs schärfste diskriminiert. In Anbetracht der Tatsache, dass der Terror in Russland in seiner gefährlichsten Spielart immer als Staatsterror daherkam, täte ein offenes Wort unter Freunden also gut, wollten die USA Russland tatsächlich für immer als Verbündeten gewinnen. So aber stellt sich die Frage, ob der Westen das auch tatsächlich will – oder es sich zurzeit nur nicht leisten kann, sich dem aufdringlichen Buhlen von Kremlchef Wladimir Putin zu entziehen.

Auch wirtschaftliche oder politische Zugeständnisse, die die demokratische Entwicklung in Russland festigen würden, wird der Gipfel wohl nicht bringen. Dasselbe steht für die Besiegelung des neuen Nato-Russland-Rates und den EU-Russland-Gipfel in der kommenden Woche zu befürchten. De facto fixieren zurzeit sowohl Europäer als auch Russen und Amerikaner vor allem den eigenen Bauchnabel. Auch dass Washington mittlerweile ein Interesse an Moskau als Juniorpartner hätte, wie es der Kreml insgeheim erhofft hatte, ließ sich den Worten Bushs nicht entnehmen. Wahrscheinlicher ist, dass die Amerikaner mit den Russen spielen: Scheinbar auf einer Augenhöhe mit Moskau jagt Washington den Europäern ein wenig Angst ein – darüber hinausgehende Absichten hegen die USA nicht. Vielmehr scheint ihre untergründige Botschaft zu lauten: Soll sich doch die EU um die Russen kümmern.

Für Washington brächte dies zunächst einige Vorteile: Die nörgelnden Europäer wären voll und ganz überfordert. Zumal Europa keine Absichten hat, sich ernsthaft des widerwilligen Nachbarn anzunehmen. So bleibt wieder alles beim Alten – abgesehen davon, dass die Enttäuschung über den Westen in Russland wächst. Und damit auch eine potenzielle Gefahr – mit oder ohne Atomraketen.

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