bücher für randgruppen: Von Lascaux bis Galloway – Rinder einst und jetzt
Gibt guten Braten
Von dem 1930 ausgegrabenen Goldhamsterweibchen und ihren elf Jungen stammen sämtliche Goldhamster ab, die heute in den Kinderzimmern der Welt tagsüber schlafen und nachts zwecks Körperbewegung kräftig in die Pedale treten. Im Jahr 1997 gelang es dem Hallenser Professor Gattermann nachzuweisen, dass das in Freiheit seltene und hoch gefährdete Tier überhaupt noch existierte. In Syrien bei Aleppo lebt der wilde Goldhamster, der nicht leicht zu zähmen ist und Menschen gern in den Finger beißt. Erst zwei Jahre später gelang dem Forscherteam des Instituts für Zoologie in Halle der Fang einiger Exemplare, die damit einen neuen Zuchtstamm aufbauen konnten. Denn eigentlich ist er ja ziemlich vermehrungsfreudig, der Goldhamster.
Erstaunlicherweise hat sich die genetische Verarmung des domestizierten Goldhamsters nicht auf das Aussehen und das Verhalten ausgewirkt. Das hätten vergleichende Untersuchungen gezeigt, teilte Professor Gattermann mir auf Anfrage mit. Solche Vergleiche werden mit dem Auerochsen leider nicht mehr angestellt werden können. Die Urform unserer Rinder ist mit Sicherheit endgültig ausgestorben, vermutlich im Jahr 1627. Dieses Jahr wurde das letzte Wildrind in den Wäldern Osteuropas erlegt. Und obwohl es Versuche der Nachzüchtung gibt, so im Gehege Neandertal des Zoos Wuppertal, ist das Original doch unwiederbringlich verloren.
Im Gegensatz zum Goldhamster beißt das Rind nicht in den Finger, könnte ihn als konsequenter Vegetarier auch gar nicht wiederkäuen, sondern genießt es, ausgiebig daran zu nuckeln. Michael Brackmann mag Kühe und gibt in seinem Kuhbuch davon Kunde. Er scheuert ihnen die Schwanzwurzel (das lieben sie über alles) und beneidet sie um ihre Fähigkeit, sich mit der Zunge in der Nase zu bohren. Jedenfalls im Vorwort.
Über sechshundert Rinderrassen sind gezüchtet worden, vierzig davon stellt Brackmann vor. Dass der Autor selbst kein Vegetarier ist, wird an den Symbolen deutlich, die die Eigenschaften der verschiedenen Zuchtformen anzeigen: gibt guten Braten, Hackfleisch oder schlichtes Suppenfleisch. Doch, wie bereits beschrieben, er mag Kühe – nicht nur als Steak oder Lederhose –, sondern als bedeutende Mitgeschöpfe, wie er sich ausdrückt. Hier kennt sich jemand aus und liebt trotzdem seinen Fachbereich, ist nicht mit ihm vertrocknet. Vielleicht hat ja auch das eine oder andere Gläschen Milch daran seinen Anteil gehabt. Die zeitgenössische Kuh produziert davon immerhin die tausendfache Menge wie ihre Urahnin.
Wann die Domestikation stattfand, ist allerdings umstritten. Brackmann selbst meint vor 10.000 Jahren und verbindet diesen Zeitpunkt mit der Menschwerdung des Menschen. Es ist nicht das Rad, das den Homo sapiens zur Bildung von Hochkulturen befähigte, sondern die Rinderzucht, heißt: immer Nahrung und Kleidung griffbereit. Dazu Rindertalg als Petroleum oder – in der Moderne – als Hauptbestandteil des Meisenknödels; zudem Knochen als Handgriff für das steinzeitliche Steinbeil und als Zeichengrund für prähistorische Kunstgravuren. Weltberühmt sind die rot, gelb, braun und schwarz leuchtenden Umrisszeichnungen, über fünf Meter große Auerochsen auf hellem Grund im so genannten Saal der Urstiere der Höhle von Lascaux, einer paläolithischen Kathedrale der Rinderfreunde.
Wesentlich kleiner sind die illustrierenden Zeichnungen im vorliegenden Band: vom Galloway bis hin zum japanischen Wagyu, das das teuerste Steak der Welt liefert, Kilo 650 Mark. Sie sind im Schnitt nur etwa zehn Zentimeter lang, von klassischer Natur und wechseln sich kontrastreich mit Karikaturen ab, die liebevoll drollig das Thema Rind und Mensch und vermenschlichtes Rind behandeln. Ein sympathisches und lehrreiches Brevier für den aufgeschlossenen Landwirt und alle engagierten Kuhfreunde.WOLFGANG MÜLLER
Michael Brackmann: „Das andereKuhbuch“. Landbuch Verlag, Hannover 2000, 176 Seiten, 39,80 DM
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