bücher für randgruppen: Von der Unterwäsche zum Bühnenkostüm
Metamorphose des Dirndls
Das Verschenken eines Buches zu Weihnachten kann eine heikle Angelegenheit sein. Wer kauft schon gern ein schlechtes Buch, nur weil er einem Menschen damit eine große Freude macht? Und andersherum ist es auch nicht besser. Was ist daran schön, ein für gut befundenes Buch zu verschenken, wenn es überhaupt nicht bemerkt wird oder sogar als arrogante Maßregelung empfunden wird?
Es gibt aber auch Bücher, die mehrgleisig fahren – in denen sich Mutti aus Reislingen (bei Wolfsburg) und ihr Sohn Wolfgang in Berlin-Kreuzberg irgendwie wiederfinden können. Zu diesen seltenen Exemplaren gehört das soeben in dritter Auflage erschienene Buch „Das Dirndl“, eine kleine Kulturgeschichte der Alpentracht. Dass die Autorin Dr. Gexi Tostmann nebenbei Eigentümerin einer Trachtenfirma in Seewalchen am Attersee ist, zeigt, dass die Begeisterung der promovierten Volkskundlerin sich in jeder Hinsicht gelohnt hat. Die passionierte Dirndlträgerin beschreibt in offenherziger Frische die Entwicklung des Arme-Leute-Kittels von Mägden oder Sennerinnen zum gehobenen bürgerlichen Accessoire. Ursprünglich eine Art primitiver Büstenhalter, wurde das Leibchen nebst dem Kittel – eigentlich ein Unterrock – Mitte des 19. Jahrhunderts weiterentwickelt, verfeinert. So startete die Unterwäsche der Armen einen Siegeszug, der sie schließlich in die volkstümlichen Hitparaden des Fernsehzeitalters führte. Dass sich manche Bäuerin sogar Löcher in die Kopfhaut stechen ließ, um das Tuch der traditionellen Goldhaube sicher befestigen zu können, ist eines der vielen interessanten Details, an denen dieses Dirndlbuch überaus reich ist.
Künstler und Schneiderateliers waren an der Gestaltung neuer Kostüme beteiligt, die reiche Bebilderung mit sehr schönen alten Fotografien zeigt die Vielfalt der Kreationen. Wir sehen nicht nur Gustav Klimt und Max Reinhardt neben Dirndltragenden posieren, nein, auch Sigmund Freud und Theodor Herzl scheinen dem Dirndl nicht abgeneigt gewesen zu sein. Beeindruckend sind die Anekdoten, beispielsweise von dem geizigen Gatten und Burgschauspieler Schreiner, dessen Frau jedes ihr ausgefallene Haar sammelte, um diese als Zöpfe einem Friseur zu verkaufen. Leider machte ihr die aufkommende Kurzhaarmode einen Strich durch die Rechnung.
Eine internationale Berühmtheit, so die Autorin, erreichte die heimische Trachtenmode aber erst mit Marlene Dietrich. In einer traditionellen österreichischen Männertracht ruderte sie über den Attersee. Nebenbei gesagt: Es gibt wohl nur ein einziges Land in Europa, das bis vor kurzem keine eigene nationale Herrentracht hatte. Dieses Land ist überraschenderweise Island.
Eine eigene Tracht für Frauen wurde von dem Künstler Sigurdur Gudmundsson in der Mitte des 19. Jahrhunderts gestaltet, sie ist stark holländisch inspiriert. Doch erst im Jahr 1994, anlässlich der Feiern zum 50. Unabhängigkeitstag Islands, schrieb der Herrenausstatter „sautján“ (siebzehn) in Reykjavík einen Herrentrachtencontest aus. Unter 12 Designern setzte sich einer durch: Kristinn Sigridarssons Entwurf ist nun die wohl jüngste Folkoretracht der Welt. Der erfolgreiche Designer lebt jetzt in New York und hat schon zwei Kostüme für Hillary Clinton entworfen. Auch ich habe mir schließlich diese Tracht gekauft. Sie gefällt mir wirklich gut, ist gar nicht folkloristisch verkitscht, sondern eigenartig modern-antik, vielleicht etwas bäuerlich. Und sie passt erschreckend gut zum Dirndl meiner Mutter.
WOLFGANG MÜLLER
Gexi Tostmann: „Das Dirndl. Alpenländische Tradition und Mode“. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2000, 80 S., viele Fotos, DM 39,90
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