bücher für randgruppen: Was ist eigentlich los in Luxemburg?
Fremdes Großherzogtum
Oh Pardon, sind Sie der Graf von Luxemburg? Diese Frage stellte vor einigen Wochen der Künstler Antoine Prum anlässlich seiner Berliner Abschlussausstellung im Künstlerhaus Bethanien. Eine Frage, die Prum sicher schon oft beschäftigt hat, denn er ist Luxemburger. Ein Land, mit dem ansonsten Wörter wie „Steueroase“ und „Bankgeheimnis“ assoziiert werden. Luxemburg – das unbekannte Wesen. So nah und doch so fern. Prums Ausstellung griff denn auch die Frage nach der kulturellen Identität des Herzogtums auf. Sein Spektrum erstreckte sich von Georges Christen, dem stärksten Mann der Welt (19 Guinness-Rekorde!) über Camillo Felgens Schlagerhit „Ich hab’ Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren“ bis zum Autor von „Dr. Mabuse“, Norbert Jacques.
Doch der Künstler nutzte auch die Gelegenheit, bekannte zeitgenössische Autoren seines Landes nach Berlin zu holen. So Roger Manderscheid, der im Kaffee Burger sein Buch „schwarze engel“ vorstellte. Der als Querdenker ausgewiesene Autor und Zeichner schreibt in Deutsch und Luxemburgisch. Letzteres emanzipiert sich mehr und mehr von einem Dialekt zu einer Sprache. „Ja, wir haben kein Selbstbewusstsein“, sagte mir Manderscheid, „wir haben nämlich keine Macht, keine Waffen.“ Zähigkeit und Widerstandskraft, das seien Eigenschaften der Luxemburger, die schon immer zwischen den Kulturen lebten. „Nationalgefühl und Identität? Darüber lächeln wir“, sagte er, lächelte und sprach von der schwarzen Isländerin, die bei der Iceland-Air in Luxemburg als Stewardess arbeite. Luxemburg ist nämlich der zentrale Flughafen, den Iceland-Air in Europa ansteuert. Bereits seit über hundert Jahren ist die christlich-soziale Partei an der Macht und regiert die 400.000 Einwohner. Die größte Tageszeitung in einer Auflage von 80.000 gehört dem Bischof, und die Dominanz der Rechten ist allgegenwärtig. Und doch gebe es seit Mitte der 80er-Jahre einen kulturellen Aufschwung im Großherzogtum. Wer zwischen den Kulturen lebt, kann die Welt umso besser beobachten; die Distanz, die der Luxemburger zur deutschen und französischen Sprache hat, schafft Möglichkeiten, etwas zu sehen, was sonst verborgen bleibt. Zum Beispiel das Wort „Ohrlochschießen“. Ein bemerkenswertes Wort, findet Manderscheid und übersetzt ins Luxemburgische: „Ouerlachschéissen“. Auch nicht uninteressant.
Sein Buch „schwarze engel“ spielt mit Identitäten jeder Art. Der schwarze Engel ist die erwähnte Isländerin, die in einem Dialog über ihre Adoption spricht. „Stell dir vor: ein rußschwarzes Baby von der Elfenbeinküste in einem schneeweißen, eiskalten Land, wo nur das Wasser, das aus der Erde dampft, heiß ist.“ Und wieso spricht sie so gut Luxemburgisch? „Mein Vater ist Pilot bei der Iceland-Air, und der wohnt hier. Ich bin in Luxemburg zur Schule gegangen.“ Im Wechsel aus Dialogen, die zudem wunderbare kleine Theaterstücke sind, Geschichten, die auf eigenwillige Weise zwischen Deutsch, Französisch und Luxemburgisch changieren, Tagebucheintragungen und Aphorismen bildet Roger Manderscheid einen Kosmos, der sehr persönlich ist und doch ausgesprochen universell.
In ihm bewegen sich ein obsessiv Pflastersteine sammelnder Bankangestellter in Pension, ein knutschendes Pony, ein Liter Rotwein und eine tschechische Englischlehrerin, die seit der samtenen Revolution ihr Körpervolumen vervielfacht hat. Diesen Körper packt sie in einen Rollstuhl, während die Gedanken beweglich wie Schmetterlinge werden und ihren luxemburgischen Freunden in Prag zuflattern: Wäre Kafka durch mich gesund geworden?
„schwarze engel“ ist ein schönes und querköpfiges Einstiegsbuch für eine Reise nach Luxemburg. Viel besser geeignet als jeder bunt bebilderte Reiseführer. Tatsächlich erweckte die Lektüre in mir eine plötzliche Lust, nach Luxemburg zu fahren, in ein unbekanntes, fremdes Land, zu schauen, was da eigentlich los ist.
WOLFGANG MÜLLER
Roger Manderscheid: „schwarze engel“. Geschichten mit 23 Zeichnungen des Autors. Éditions ultimomondo, Nospelt/Luxemburg 2001, 120 Seiten, 35 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen