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bücher für randgruppenBirgit Joos erforscht die Kulturgeschichte der „Lebenden Bilder“

Ein bisschen Trickserei dabei

Es scheint eine ausgestorbene Kunstform zu sein. Zu Goethes Zeiten war sie en vogue: Lebende Bilder, die Darstellung von Gemälden durch lebende Personen. Diese verharrten für längere Zeit stumm und bewegungslos, um als Kunstwerk wahrgenommen zu werden. Nur eine leise Ahnung davon ist geblieben, durch den Pantomimen, der in Fußgängerzonen unbeweglich eines kleinen Obolus harrt. Und es gibt auch einige Beispiele in der aktuellen Kunst, wo das Genre auf andere Weise weiterlebt. So in der inszenierten Fotografie bei Cindy Sherman, im Film bei Jean Luc Godard („Passion“) und in der Performance bei Johann Lorbeer, der als Müllmann gekleidet Stunden aufrecht und bewegungslos auf der Wand oder auf der Decke einer Galerie steht.

Ach ja, nicht zu vergessen kürzlich noch in der Bundestagswahlwerbung der Grünen, wo von zwei barbusigen Frauen eine zart die Brustwarze der anderen berührt. Eine Szene nach dem im Louvre befindlichen Gemälde eines unbekannten Malers aus der Schule von Fontainebleau: „Gabrielle d’Estrées et l’une de ses soeurs“. Hier ergänzt um zwei Männer im Hintergrund, die den Frauen nacheifern. Wir erinnern uns, dass der Bürgermeister von Königsstein im Taunus das Grünen-Plakat wegen Anstößigkeit der von 1595 stammenden Vorlage aus der Öffentlichkeit verbannen ließ.

Nun, da vermehrt in Privatwohnungen Soireen und Salonempfänge gegeben werden, könnten die Lebenden Bilder vielleicht wieder zu Ehren kommen. Die Autorin Birgit Joos hat jedenfalls eine ausgesprochen üppige Quellen- und Materialsammlung zum seltenen Thema zusammengetragen. Sie schafft eine Verbindung von den Darstellungen dilettierender Adliger bis in die Gegenwart, zu den Kunstprofis in Kunst, Film und Performance. Geschmückt wird das wissenschaftliche Werk durch eine alte Fotografie zweier Engelchen, die offensichtlich Raffaels berühmte Engel aus der Sixtinischen Madonna von 1512/1513 nachstellen.

Als große Dame der Lebenden Bilder ist gemeinhin die aus einfachen Verhältnissen stammende Emma Hart bekannt. Unter dem Namen Lady Hamilton erlangte die Frau des englischen Botschafters in Neapel eine bis heute währende gewisse Berühmtheit. Sie wird als Erfinderin der Attitüdendarstellung bezeichnet und gab sich leidenschaftlich der Darstellung als Lebendes Bild hin. Goethe sah sie auf seiner italienischen Reise in Aktion, seine vermutlich erste Begegnung mit dieser in Paris um 1760 entstandenen Kunstform. Dort wurde sie im Rahmen von Dilettanten-Theateraufführungen von Adligen selbst dargestellt und beschaut.

Lady Hamilton stand in einem schwarzen gerahmten Kasten, war bei der Nachstellung einer Figur aus einem klassischen Gemälde farbenfroh gekleidet. Die Attitüde, also die Darstellung einer plastischen Einzelfigur frei nach antiken Vorbildern, stellte sie dagegen weiß gewandet vor. Als Entstehungsjahr und -ort dieser Kunstform wird 1786 Neapel bezeichnet. Goethes Versuch, eine Verbindung von der Attitüde zu den Neapolitanischen Krippen zu ziehen, ist wahrscheinlich im Überschwang seiner glücklichen Reise geschehen. Sehr interessant sind die gesammelten und längst vergessenen Kritiken der Aufführungen Lebender Bilder in Birgit Joos’ Buch, die einen Eindruck davon geben, was seinerzeit wohl von der körperlichen Nachahmung erwartet wurde. Bemängelt wird da beispielsweise die „ärmliche Kleidung“ eines Darstellers und dass das Licht etwas kontrastreicher sein könnte. Nacktes wurde übrigens nur verhüllt dargestellt.

Die Lebenden Bilder von heute funktionierenden anders: Sie überspringen in der Performance den Umweg über das Bild und übertragen ihre Bilder direkt vom Kopf auf den Körper. In den Berliner Kunstwerken stand vor wenigen Jahren Marina Abramovic stundenlang nackt und unbewegt in der Mitte der Wand. Eigentlich saß sie, auf einer Art Fahrradsitz, damit sie etwas Halt hatte und nicht runterkippte. Es war also ein bisschen Trickserei dabei wie schon zu Goethes Zeiten, wo ein Rezensent bemerkte, dass der aufwändige Schwebemechanismus, auf dem eine Figur – ein Engel? – lag, auf wunderbare Weise verborgen blieb.

Unten im Saal gab es derweil einen komischen Quasselsound: Hunderte von Besuchern plauderten unentwegt, schauten gelegentlich mal hoch, ob sich etwas verändert hatte. Was aber nicht geschah. Es ging sehr zivilisiert zu, verglichen jedenfalls mit den Kunst- und Körperorgien von Hermann Nietsch und Otto Muehl aus den 60ern. Vielleicht befinden wir uns ja wieder in einer Art Goethezeit, dieses Mal ohne Goethe. WOLFGANG MÜLLER

Birgit Joos: „Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Kunstwerken in der Goethezeit“. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2002, 448 S., 62 €

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