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brüsseler blaseSadomaso im Plenarsaal

die EU-parlamentskolumne

von Eric Bonse

Am Zeitungskiosk des Europaparlaments in Brüssel trifft man viele Abgeordnete. Gleich gegenüber der Members’ Bar mit VIP-Service und eigenem Raucherzimmer gibt es hier die neuesten Zeitungen und die auflagenstärksten Bücher. Besonders beliebt scheinen derzeit zwei spezielle Titel zu sein. „How to run the European Parliament“ („Wie man das Europaparlament führt“) wird schon im Schaufenster beworben. Und „Fifty Shades of Grey“ liegt an der Kasse aus, zum Last-minute-Kauf.

Leider möchte niemand verraten, wer dieses Erotikdrama im Tempel der europäischen Demokratie erwirbt. Es könnten natürlich die vielen PraktikantInnen und AssistentInnen sein, die ein wenig Abwechslung von staubtrockenen EU-Richtlinien suchen.

Ein heimliches Faible für Sadomaso darf man auch einigen Europaabgeordneten zuschreiben. Sie haben nämlich Antonio Tajani zu ihrem Präsidenten gewählt, den ehemaligen Pressesprecher von Silvio Berlusconi. Der Neue ist aber nicht nur wegen seiner Nähe zu Berlusconi eine Qual. Auch sein Rednertalent lässt zu wünschen übrig. Wer ihm zuhört, muss also ein klein wenig masochistisch veranlagt sein. Für eine relative Mehrheit der Abgeordneten ist das aber kein Pro­blem. Die Unterstützer Tajanis haben genug von Dampfplauderern wie Martin Schulz. Sie lieben es, sich von Tajani in schlechtem Englisch einlullen zu lassen – um hinterher selbst das große Wort zu führen.

Besonders devot geben sich neuerdings die Liberalen. Eigentlich wollten sie ihren Fraktionschef Guy Verhofstadt zum neuen Parlamentspräsidenten küren. Doch der hatte sich erst in flagranti beim politischen Seitensprung mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo erwischen lassen – und dann bereitwillig in die Arme der Konservativen geworfen. Tajani ist für viele Liberale wegen seiner Nähe zu Bunga-Bunga-Berlusconi immer noch kein präsentabler Politiker. Aber Parteiräson und Machtinstinkt waren stärker, er wurde mithilfe der Liberalen gewählt – ein Akt des politischen Masochismus.

Der Erfolg von „Fifty Shades of Grey“ im Europaparlament ist damit zwar immer noch nicht abschließend erklärt. Dafür erlaubt der zweite Bestseller einen tieferen Blick in die Seele der Abgeordneten. „Ändern Sie Ihr Verhalten, sobald Sie auf Probleme stoßen“, rät die Autorin von „How to run the European Parliament“. „Widerstand ist ein Zeichen für mangelnde Flexibilität auf Ihrer Seite“, heißt es weiter. „Dominieren Sie mit Empathie, nicht mit roher Gewalt“.

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