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Archiv-Artikel

blutjungs von CORINNA STEGEMANN

Ich gelte in meinem Bekanntenkreis nicht unbedingt als Musikexpertin, und seit ich als 14-Jährige mal ein unangenehmes Erlebnis hatte, ist mein Selbstbewusstsein in dem Bereich erheblich gestört. Damals ging ich immer mit dem 16-jährigen Nachbarsmädchen an die Straßenecke, an der die 17-jährigen Jungen mit ihren Mofas herumlungerten. Irgendwann mussten alle ihre Lieblingsbands nennen, und ich sagte ganz ehrlich „Dschingis Khan“, weil ich die gut fand. Da lachten mich alle aus, ich war uncool und meine Karriere in der Clique war beendet. Seitdem hielt ich mich mit Musikgeschmacksäußerungen zurück und gestand nur meinen engsten Vertrauten, was mir gefällt.

Neulich spazierte ich durch Karlsruhe, kalter Wind peitschte mir nassen Regen ins Gesicht und pfiff durch sämtliche Reißverschlüsse. Ich suchte Schutz in einem winzigen Gothic-Laden. Die Auslage reizte mich, dort gab es Monsterfiguren, komischen Schmuck, seltsame Gothic-Klamotten und vieles mehr. Um in den eigentlichen Laden zu kommen, musste ich eine enge, steile Treppe hinaufsteigen, die mit Plastikrosen, Totenköpfen und anderem Kitsch verziert war. Oben stand ein leichenhafter Verkäufer hinterm Tresen, der mich misstrauisch ansah und nicht zurückgrüßte, weil ich einen blauen Anorak und eine Mütze trug. Uncool halt.

Ich wäre auch sofort wieder hinausgestiefelt, wäre da nicht diese Musik gewesen, die im Laden lief und die mir auf Anhieb gefiel. Um noch etwas zuzuhören, fingerte ich an den T-Shirts und Kutten herum, immer verfolgt von dem beinahe schon gehässigen Blick der Leiche. Ich musste hier raus, das war klar. Aber vorher musste ich herausbekommen, wie die Band hieß, die da aus den Boxen blutete.

Also kratzte ich all meinen Mut zusammen, nahm die Nase hoch, ging zur Leiche und fragte: „Was ist das für Musik, die da läuft?“ Der Verkäufer musterte mich von oben bis unten und murmelte irgendwas. Weil ich ihn aber nicht verstanden hatte, blätterte ich weiter in den T-Shirts. Doch irgendwann dachte ich mir: „Was soll denn das, hier kennt mich doch eh keiner, ich kann ruhig noch mal fragen!“ Ich ging abermals zum Tresen und fragte: „Wie hieß die Band noch mal?“ Der Verkäufer setzte ein gekünsteltes, süßliches Lächeln auf und sagte überdeutlich: „Die Band heißt Blutjungs.“ Dann hielt er mir das CD-Cover vor die Nase und sagte: „Kriegste überall bei Saturn und Media-Markt und so weiter. Soll ich es dir auch noch aufschreiben?“

Ich verließ den Laden und ging schnurstracks in ein Medien-Kaufhaus. Als ich die CD dort nicht fand, fragte ich an der Information. Der Verkäufer gab „Blutjungs“ in den Computer ein und sagte: „Die haben wir nicht mal verzeichnet.“ So ging es mir auch in sämtlichen anderen Geschäften und selbst im Internet-Handel. Die Leiche hatte mich selbstverständlich verarscht!

Über die Homepage der Band gelang es mir dann doch noch, die CD zu bekommen. Fröhlich singe ich seither: „Ich fand deine Adresse in einem Magazin / mit Fotos von Geschlechtsverkehr mit Pferdestuten drin“, und verschicke Kopien meiner neuen Lieblings-CD in alle Welt – mit dem Erfolg, dass mich jetzt viele Menschen für geschmacksverirrt halten. Ist mir doch egal!