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big in koreaFRANK KETTERER über eingeschränkte Solidarität

Rudi ist ein einfacher Mensch

Die Spieler lagen bereits im Bett und schliefen, als die traurige Botschaft vom Tod Fritz Walters in Seogwipo eintraf. Und so sprach Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, erst am nächsten Morgen einen Nachruf auf den großen deutschen Fußballer, der vor ziemlich genau 48 Jahren mit seiner Mannschaft in Bern ein Wunder vollbracht hatte. Mayer-Vorfelder würdigte Fritz Walter als „großes Idol des deutschen Fußballs“, das damals, 1954, etwas geschafft habe, „was das gesamte deutsche Volk bewegt hat“. Und auch Rudi Völler, der gleich neben dem Präsidenten saß und anschließend das Wort ergriff, sprach von jener besonderen Stimmung, die der Name Fritz Walter bis zum heutigen Tag hervorruft, auch bei Völlers Vater: „Ich weiß noch, dass er immer in den höchsten Tönen von Fritz Walter gesprochen hat.“ Auch Rudi Völler, der sich an manche „herrliche Begegnung“ mit dem großen Fritz erinnern kann, tat es nun seinem Vater gleich. „Was Fritz Walter erreicht hat, wird kein Nationalspieler in hundert oder tausend Jahren mehr erreichen“, sagte er. Die deutsche Mannschaft wird am Freitag im Viertelfinale gegen die USA mit Trauerflor spielen. Vor dem Anpfiff wird es eine Schweigeminute geben. Rudi Völler würde dem Verstorbenen zudem gerne ein Abschiedsgeschenk mit auf seinen letzten Weg geben: „Warum sollten wir das Spiel nicht für Fritz Walter gewinnen können?“

Indes: Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Und weil die deutsche Mannschaft schon so bald ihr nächstes Spiel bei dieser WM zu spielen hat, musste, bei aller Trauer, auch gestern ein bisschen gesprochen werden über den Alltag hier in Asien – über das Viertelfinale gegen die USA. „Wir haben eine Riesenchance, ins Halbfinale einzuziehen“, sagte Völler. Dieser Satz ließ keine Zweifel offen, wer in dieser Partie Favorit sein wird. Die deutsche Mannschaft nämlich. Der Teamchef wiegelte dann aber doch etwas ab, etwa als er an den 27. März diesen Jahres erinnerte. Auch da spielte Deutschland gegen die USA, in Rostock und in Freundschaft, was am Ende zu einem 4:2 führte. „Dennoch“, so Völler, „habe man damals, vor allem in der ersten Halbzeit, gesehen, „dass die ganz hervorragend Fußball spielen können.“ Torwart Kahn sagte: „Das sind alles ganz patriotische Jungs, die für ihr Land alles geben werden. Da müssen wir höllisch aufpassen.“

Das mit dem Patriotismus der Soccer-Boys scheint tatsächlich so zu sein. „Wir können hier noch mehr Geschichte machen“, kündigte US-Keeper Brad Friedel an. Auch Verbandspräsident Robert Contiguglia hob den Vorstoß ins Viertelfinale in historische Dimensionen: „Wir erleben hier das Ergebnis von 25 Jahren Arbeit vieler tausender Menschen.“ Noch eine Stufe weiter ging George W. Bush. Der hatte sich noch vor dem Achtelfinale per Telefon in der Kabine gemeldet, und zwar mit den Worten: „Ich verstehe zwar nicht viel von Soccer, aber ich drücke euch die Daumen. Ihr repräsentiert das beste Land der Welt.“ Bei Bruce Arena, dem Trainer, scheinen die Sinne noch nicht ganz so vernebelt zu sein. Deutschland sei der überwältigende Favorit, auf dem Papier sehe es sogar aus, „als müsse man erst gar nicht spielen“. Andererseits, weiß auch Arena: „Wir spielen am Freitag nicht auf dem Papier, sondern auf Rasen.“

Rudi Völler war schon gestern damit beschäftigt, diplomatische Beziehungen zu pflegen – und zwar die zu Gastgeber Südkorea. Deren ehemaliges Fußballidol Bum Kun Cha, das während der WM als Fernsehmoderator arbeitet und früher einmal in Leverkusen gekickt hat, hatte die Leistung der deutschen Mannschaft im Achtelfinale gegen Paraguay als die schlechteste bezeichnet, die er je gesehen habe. Und ward daraufhin von Völler bezichtigt, bei Bayer Leverkusen „zu viel Aspirin gegessen“ zu haben. Gestern ruderte der deutsche Teamchef kräftig zurück und entschuldigte sich in aller Form bei „meinem alten Freund Cha. Wenn ich übers Ziel hinausgeschossen bin, tut mir das Leid“, sprach Völler. Und: „Ich versuche mich ja immer im Griff zu haben. Hin und wieder bin aber auch ich nur ein einfacher Mensch.“ Wer hätte das gedacht?

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