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betr.: die Mauer

Fast nichts ist so schamlos mißbraucht worden wie DIE MAUER: es gibt Mauerkunst, Mauertheater, Mauerfilme, Mauerlieben, Mauerblümchen etc. Weil die Mauer hierzulande ein Unding der dritten Art gewesen ist, ist ihre Bemalung, historisch gesehen, SUBVERSIV, VON UNTEN, GRENZÜBERSCHREITEND, POLITISCH, WICHTIG, VERDIENSTVOLL etc. Und vor allem ganz und gar SYMBOLISCH. Die Mauer gibt jedem dahergelaufenen Kreativen die einzigartige Möglichkeit, sich in die Weltgeschichte einzuschreiben, noch im Verschwinden, im Zerstückeln ihrer geliebt-gehaßten Betonteile ist er sich einer Öffentlichkeit gewiß.

Das belegen endlich die - nach jahrelangen Untersuchungen spätestens jetzt unvermeidlich auf dem Mauermarkt feilgebotenen Mauerbücher mittels konkretelnder Poesie: „Ein Gang entlang der Mauer ist wie das Balancieren auf einem Drahtseil über geschichtlicher Trümmerlandschaft, eingeschnürt vom Niemandsland. Die Zeichen auf der Mauer sollen animieren, sollen vielleicht auch magische Gesundheilung bewirken, wie die Graffiti auf einem Gipsverband“, schwelgt das Elefantenpress-Bilderbuch „Berliner Mauer Kunst„(links). Das 83 Seiten starke, Eltern und Kind des Bildautoren Heinz J. Kuzdas gewidmete Gedenkepos ist für den Schnelltouristen wie geschaffen, da es kurz, knapp, in deutsch, englisch, spanisch und japanisch die Mauerjahre 1945-1989, das Brandenburger Tor, das Kubat -Dreieck, prominente Mauerkleckser, DDR-Stricher, „historisch belastetes Gelände“, „Symbole der Sinnlosigkeit“ und viele viele bunte Bildchen präsentiert.

Ganz anders kommt das Trau-Schau-Wow-Buch „Berliner Mauerbilder“ vom Nicolai Verlag (rechts) daher. Wo Elefantenpress sich in die Ansichtskartenständer biederbiegt, möchten Hermann Waldenburgs Hochglanzabzüge autonomer Mauerkunst nebst einleitendem Essay mindestens neben einen Andy-Warhol-Sammelband ins Regal. Schon das Aufmachergraffito „I LIKE BEUYS“, BEUYS durchgestrichen und durch Boys ersetzt, ist schließlich ganz schön „exemplarisch für das Grundverständnis dieses unsere Medienwelt mitprägenden Fachgebiets“, nämlich des Kommunikationsdesigns, der Domäne des Autors. Wegen solcher schönen Sätze könnte man glauben, all die im Buch dokumentierten schaurigen Ungeheuer, die dumpf-dumm-genialen Mauerparolen, die Stempelserien und kurzlebigen Environments seien nur für diesen Kommunikationsdesigndozenten entstanden, damit er sie verkunsten kann. Sinn- und erklärungslos drauflosgemalt, namenlos erhalten, als Substrat von 80er-Jahre-Volkskunst, ohne verkrampften Anspruch auf Geschichtsmächtigkeit. Wer wollte auch wissen, ob der Sprayer drei Wochen die Aktion geplant hat und vorher nicht mehr pissen konnte? Ein Kreuzberger Avantgardist Mark, Ehre und Off-Galerie für drei Striche bekam? Eine Oldenburger Sozialpädagogin sich ein unvergeßliches Denkmal setzen wollte?

All die Geschichten bleiben freier Erfindung vorbehalten für traurige mauerlose Zeit. Aber was das eine Werk kunstvoll vermauert, enthüllt das andere gnadenlos: Daß ein Obermaler (Keith Haring) dem anderen Obermaler (Noir) seine 42 Freiheitsstatuen vorsätzlich überstrichelt, wer Königsköpfe und Schwarzsilhouetten pinselte und daß der eierförmige mauerhüpfende Humpty Dumpty ein „Entspannungsbringer“ ist. Und so bleibt Mauerfreundin und Mauerfreund nur gründliches Abwägen: Nicolai-Mauerbuch 470,5 Gramm; Elefantenpress -Mauerbuch 286 Gramm.

Doroh

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