die stimme der Kritik: betr.: Modernes Lernen
Babylonische Babys
Auf die notorischen Bedenkenträger war Verlass. Fernsehen für Kleinkinder? Entsetzlich! Diese lallenden und durch die Gegend kugelnden Teletubbies in ihren synthetischen Fleecekostümen konnten unmöglich pädagogisch wertvoll sein. Was, bitte schön, soll ein Kleinkind von denen schon lernen können? Nun, zum Beispiel dies: sprechen. Oder gar: eine Fremdsprache!
Den Beweis für das enorme Lernpotenzial, das in Po, Laa-Laa, Tinkywinky und Dipsy schlummert, erbrachte – sehr zur Verwunderung der Eltern – ein achtzehn Monate altes Mädchen aus Nordengland. Die kleine Katie Suitor, meldet dpa, erfreute Mum und Dad dieser Tage mit ihren ersten selbst gesprochenen Sätzen. Deren Sinn freilich blieb den stolzen Eltern längere Zeit verborgen. Katie nämlich wählte für ihre ersten Artikulationen nicht die Sprache ihrer Ahnen, sondern wiederholte hartnäckig den schönen deutschen Satz: „Knie alle dreckig, waschen, waschen, waschen.“
Woher hat das Kind das bloß?, fragten sich die verdutzten Eltern. Ganz einfach, von ihrer deutsch sprechenden Laa-Laa-Puppe. Ein Sprecher der Herstellerfirma beeilte sich, einen Vorschlag zur Entbabylonisierung des Babys zu unterbreiten. „Es ist schön, zu wissen, dass Katie so an ihrer deutsch sprechenden Laa-Laa hängt, aber wir wollen doch herausfinden, wie es kommt, dass ein deutsch sprechendes Teletubby in Großbritannien in den Verkauf kam. Wir würden uns freuen, Katie eine englisch sprechende Laa-Laa schicken zu dürfen.“ So herzlos mag Katies Mutter freilich nicht sein. Sie ließ den Hersteller wissen: „Auf gar keinen Fall werden wir die Puppe austauschen. Katie hängt schrecklich an ihr.“ Wer weiß, was die deutsche Laa-Laa noch auf Lager hat?
Vielleicht entsteht jetzt eine neue, multikulturelle – oder wie man in neugrüner Sprachregelung ja sagen muss: eine interkulturelle – Geschäftsidee. Etwa so: Laa-Laa spricht deutsch, Tinky-Winky koreanisch, Dipsy schwedisch und Po polnisch. Immerhin wurden die ersten Folgen der „Sesamstraße“ im deutschen Fernsehen mangels Übersetzung auch auf englisch gezeigt und avancierten in den Siebzigern unter Schülern zu wahren Quotenhits. Und vielleicht haben die gestressten Eltern ja auch wieder etwas mehr Lust, sich mit ihrem Nachwuchs ins Kinderzimmer zu setzen und einträchtig dem euphorischen Gebrabbel der Teletubbies zu lauschen, wenn auch sie dabei noch etwas lernen können. REINHARD KRAUSE
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