bernhard pötter über Kinder : Wer braucht elektronische Enten?
Eltern und Großeltern streiten oft darüber, was gutes Spielzeug ist. Aber Kinder wollen nicht spielen, sondern arbeiten
„Na wartet“, sagte meine Mutter immer, wenn wir ihr auf den Nerven rumtrampelten, „das bekommt ihr alles zurück, wenn ihr mal Familie habt.“ Doch dann machten meine Eltern mit ihren Drohungen nicht Ernst. Sie rülpsten und furzten nicht bei Tisch, als mich meine zukünftige Gattin besuchte, sie kamen nicht in verdreckten Jeans zu unserer Hochzeit, sie verweigern sich nicht ihrer Bestimmung als Babysitter. Eltern üben also doch keine Vergeltung, dachte ich.
Das war ein Fehler.
Die Rache der Großeltern ist eine halbe Gummiente für Jonas, auf ein Brett montiert und mit einem Soundchip versehen. Auf Knopfdruck wackelt das Vieh mit dem Schnabel und quäkt den Song „500 Miles from Home“ in elektronischer Verzerrung. Dann hält sie endlich den Schnabel, und Jonas drückt noch mal den Knopf. Und noch mal. Und noch mal. Verzückt sitzt er vor der quietschenden Ente. Vielleicht genießt er auch nur mein schmerzverzerrtes Gesicht.
So etwas schenken Großeltern ihren Enkeln. Eigentlich aber strafen sie die eigenen Kinder. Bei der Generation unserer Eltern, die normalerweise im Computer nur den Untergang des Abendlandes erblickt, steht vor allem elektronisches Spielzeug hoch im Kurs. Ein Handy, das auf Tastendruck „HallohallowiegehtesIhnen“ kreischt oder eine nervtötende Melodie dudelt, ein Kuschelköter, der hundedoof mit Kopf und Schwanz wackelt, oder Feuerwehrautos, die mit echter Sirene in echter Lautstärke durchs Zimmer jagen. Ebenso wie unsere Kinder zielen unsere Eltern auf unsere verwundbarste Stelle: die Nerven.
Von unserem Nachwuchs sind wir das gewöhnt. Aber dass die Großeltern mitmachen, steht in keinem Ratgeber. Sie kaufen teuren Eletronikschrott, der meine Gehörgänge und die kommunalen Deponien verstopft und vor allem extrem kurzlebig ist (woran wiederum die Eltern oft aus Notwehr einen gewichtigen Anteil haben.) Schließlich geht es um viel Geld: Wir geben pro Jahr 6,2 Milliarden Mark für Spielwaren aus. Wir? Nein, nicht meine Familie, sondern alle Deutschen zusammen.
Und was kriegen wir dafür? Lego-Krokodile, deren Zacken sich nachts in die bloßen Füsse der Eltern bohren, wenn sie heimlich ihr Kind zudecken wollen. Spielschleim, der in den Nudeltopf glitscht, scharfkantige Modellautos in der Unterwäsche. Dabei muss das alles doch gar nicht sein.
Denn Kinder brauchen überhaupt kein Spielzeug. Kinder spielen nicht. Nur Erwachsene spielen.
Das glauben Sie nicht? Dann sind Sie entweder Spielwarenhersteller oder haben Ihrem Kind noch nie zugesehen, wenn es „spielt“. Jonas jedenfalls kennt nichts Schöneres als Arbeiten: Mit seiner „Spiel“werkzeugkiste hockt er im Wohnzimmer und hämmert auf dem Boden herum, dass die Späne fliegen. Mit seinem Kinderbesen fegt er sorgfältig die Küche aus. Auf seinem „Spiel“herd kocht er die ausgefallensten Gerichte („Kastanien mit Schraubenziehern“). Wie die Müllmänner will er mit den Mülltonnen rumdengeln, wie der Briefträger die Post in die falschen Briefkästen stecken. Beim Arzt braucht er ein eigenes Stethoskop, bei der Feuerwehr einen eigenen Schlauch möglichst nah am Feuer, beim Autofahren will er hinter dem Steuer sitzen. Wenn wir auf den „Spiel“platz gehen, trägt er seine von ihm so genannten Gartengeräte – Harke und Schaufel – über der Schulter. Richtig glücklich ist er, wenn er „arbeitet wie die Männer“. Morgens verkündet er stolz: „Mama arbeitet beim Radio, Papa arbeitet bei der taz, und ich arbeite beim Kindergarten.“
Was für uns Erwachsene „Spielen“ ist, dient menschlichen und anderen Kindern (in Tierfilmen kann man das sehr schön beobachten) zum Sammeln von Erfahrungen, die sie fit fürs Leben machen. Wie ist das, wenn man die Wäschetruhe Stück für Stück durchwühlt und die dreckigen Sachen in der Wohnung versteckt? Was sagen die Eltern dazu? Und wo kann ich mich verstecken, wenn Papa dann genervt ins Zimmer stürmt?
Nur wir Erwachsenen spielen so sinnloses Zeug wie Skat, Fußball oder Posaune. Was lernt man dabei fürs Leben? „Schummeln und foulen“, sagt Anna. „Aber auch Regeln einhalten, warten, bis man an der Reihe ist und verlieren.“ Da hat sie Recht. Aber eine elektronische Ente braucht Jonas dafür nicht. Viel lieber sollte er sich von seinem Vater abgucken, wie man vom Gegner lernt. Wenn er nicht bald die Ente entsorgt, mache ich es wie meine Eltern. Und schenke in dreißig Jahren Jonas’ Kindern den furchtbarsten Spielmüll, der auf dem Markt ist.
Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de
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