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berlinmusikSchiefe Töne

Stefan Goldmann war immer schon ein Technoproduzent der etwas anderen Art. In frühen Tracks wie „Lunatic Fringe“ setzte der Berliner Musiker etwa atonale Chormusik ein. Für „seine“ 2009 erschienene Version von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ verwendete er 146 Samples aus diversen Einspielungen des Ballettklassikers, um daraus eine musikalische Reise durch die Geschichte der Ton- und Aufnahmetechnik zusammenzuschneiden. Und auf der Platte „17:50“ kreuzte er House-Rhythmen mit den arabischen Skalen der Chalga-Musik Bulgariens.

Wenn sein jüngstes Album „Tacit Script“ jetzt ein „multidimensionales Netzwerk“ verspricht, ist das in Goldmanns Fall keine bloße Verinteressantierungsworthülse, sondern die sehr allgemeine Charakterisierung der Ideen, die er darauf verfolgt. So knüpft er unter anderem an seine Ansätze von „17:50“ an, doch statt auf bestehende Tonsysteme zurückzugreifen, hat er diesmal selbst eine mikrotonale Stimmung entwickelt.

Die Töne auf „Tacit Script“ sind so konstruiert, dass sie in festen Proportionen von denen herkömmlicher Tonleitern abweichen. Mit dem Ergebnis, dass seine „Tonleitern“ keine Oktave haben, was normalerweise ein Fixpunkt in den Tonsystemen ist, die man so kennt. Nachsingen ist bei ihm dadurch etwas kompliziert.

Damit nicht genug, ist auch der Rhythmus nicht auf gerades Taktmaß beschränkt. Goldmann baut, wie um sein Tonsystem zu spiegeln, polyrhythmische Abweichungen ein. Diese kreisen um Muster, die auf Wiederholung setzen, sodass es einen Groove gibt, der allerdings immer wieder auseinanderzufallen droht. Ein bisschen wie in der Phasenverschiebung der Minimal Music, wo durch stetige Repetition ungleich gebauter Muster nach und nach komplexe Rhythmusfiguren entstehen. Ursprünglich war diese Musik Teil des Musiktheaterstücks „Alif“, das 2016 beim Festival MaerzMusik uraufgeführt wurde. Für „Tacit Script“ hat Goldmann sie noch einmal überarbeitet.

Das liest sich alles sehr theoretisch, sorgt aber mit seinen schillernden Klangfarben für große Freude und ist auch vom Beat her durchaus zum Tanzen geeignet. Man muss ja nicht alles Mitsummen können. Und wer sagt denn, Techno sei tot? Er riecht nur etwas eigenartig. Tim Caspar Boehme

Stefan Goldmann: „Tacit Script“ (Macro/Wordandsound)

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