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berliner szenenWie ein Monitor ohne Röhre

Aus der Haustür, direkt ein Hundehaufen. Jemand hat ihn mit Papier bedeckt. Ich stolpere mit müden Augen an einer Baumscheibe entlang. Aus der Nacht wenige Regenreste, ölig schillernd, winddurchwühlt. Baustellenscheppern in der Morgensonne, ein Bagger. Altes Laub, trotz allem, trocken, Erde, Ameisenstraße(n), ein Gebüsch. Und daneben: eine Fahrradleiche ohne Räder, ohne Sattel, aber mit Pedalen dran. „Wen wollten sie mit dem Sommer verarschen?“, höre ich auf dem Weg zum Zebrastreifen. Noch eine Tretmine (ohne Papier), und dann Flecken von Fruchteis (lila). Dann: Der erste Tretroller (liegend), ein grüner Sack gegen Baumdurst (voll), und Schnapsflaschen aus der Nachbarschaft (leer).

Noch nicht ganz 8 Uhr und ich werde vom Gefühl beschlichen, auch nur zu sein, wie der Monitor Ecke Pistoriusplatz, dem die Röhre fehlt. Ich zähle: Sticker an der Litfaßsäule (15),Sticker überm Zebrastreifen (8),Sticker am Laternenmast (unendlich). Kinder auf Fahrrädern (3), die im Slalom die Fußwege entlang sausen. Eine Ratte kommt gucken, wer da stört. Ich biege ab, schaudernd, Richtung Goldfischteich. Hier hat ein Baum das Klima nicht überlebt. Also rechts rum zum Iron Man, der schon jahrzehntelang dasselbe Buch zerliest. Kennt er die Kleingartenanlage „Frieden“ nicht? Da steht eine Telefonzelle mit Nachschub. Wir könnten gemeinsam lesen. Aber: Die Dönerbox mit Resten schreckt mich ab. Ich fürchte, dass daraus wieder eine Ratte kriecht. Zwei Krähen schauen mir beim Zaudern zu. Ich will Richtung Netto. Und sehe: einen Schuh, baumelnd an einer Laterne. Ein krustig braun beflecktes Tuch in den Büschen (Blut?). Eine Taube mit Bernsteinaugen. Wir grüßen uns. Und sie weist mir den Weg dorthin, wo für gewöhnlich ein Regenbogen aus einem Topf voll Gold erwächst.

Klaus Esterluss

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