berliner szenen: Postrock statt Plusterjacke
In der Veranstaltungspause drehte ich meinen Kopf gen Eingang und sah nur ein behaartes Beinpaar, das aus einem Männerkleid schoss, daneben 7/8-Jeans über schwarzen Stiefeln und Fragmente schwer angesagter flatternder Stoffhosen. Es war ein ähnlicher Effekt, wie wenn man eine U-Bahn-Treppe hochgeht und durch den Schacht nur den unteren Ausschnitt der Straßenszenerie geboten kriegt. Ich saß auf der Treppe, die ich vor Jahren runterging, um mir eine Plusterjacke für einen Feuerland-Trip auszusuchen. Nun hallten mir die Klänge einer Postrockband im Ohr, die ihrerseits das Echo der Verse einer Dichterin übertönt hatten. Das Licht gedimmt, das große Schaufenster entleert, glich dieser ehemalige Durchgangsbereich zur Verkaufszone von Outdoorklamotten nun einer Lounge mit locker verteilten Stühlen und Cocktailtischen. Auf der Bühne stöpselte ein Gitarrist sein Instrument ab, ein schlaksiger Schlagzeuger entstieg der Feste seiner Trommeln. Meine Blicke streiften die Köpfe der Zuschauenden im Sockelgeschoss des Steglitzer Kreisels. Kaum zu glauben, dass es so etwas wie eine Zwischennutzung in Berlin überhaupt noch gab. Auf jeden Fall hauchte sie der temporären, immer noch skelettierten Investmentruine neues Leben ein. Vielleicht kann man sich ja langsam von unten nach oben vorarbeiten? Die Initiative nennt sich zik, was für „Zeit ist knapp“, aber auch für „Zentrum für internationale Künste“ stehen soll. In den weitläufigen Räumen finden sich eine Kleinkunstbühne und ein Pop-up-Skatepark. Was da vor hippem Publikum aufgeführt wurde, war aber eher Poesie und Performance internationaler Dichter:innen, die gerade in Berlin Station machen. Angelockt durch den brasilianischen Dichter Ricardo Domeneck, der nun – zeitweise – für seinen Salon eine neue Bleibe gefunden hat.Timo Berger
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