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berliner szenenKomplettanalog tindern

Das glaubst du nicht“, sagt Maral, als ich zurückkomme und die Getränke auf den Tisch stelle. Wir sind im Prater, ein warmer Abend und der Biergarten ist gut gefüllt. „Was glaube ich nicht?“ „Siehst du den Typen da?“ Ich folge Marals ausgestreckter Hand. Ein paar Bänke weiter verteilt ein Mann etwas auf den Tischen. „Ist er auf einer Mission?“, frage ich. „So ungefähr.“

Sie schiebt mir eine Visitenkarte zu. Christian steht darauf. Und eine Telefonnummer. Ich drehe die Karte um. Auf der Rückseite ist ein Foto von ihm. „Erinnert mich ein bisschen an diese ‚Wir kaufen ihr Auto‘-Karten, die man ans Fahrerfenster gesteckt bekommt“, sage ich. „Stimmt, ähnliches Prinzip. Er führt sogar eine Art Verkaufsgespräch. So wie Staubsaugervertreter oder die Zeugen Jehovas, nur in sehr kurz.“ „Was hat er denn anzubieten?“ „Sich“, sagt Maral. Ich brauche einen Moment, dann klickt es.

„Er versucht zu daten?“ Maral nickt. „Er verteilt die Karten nur an Frauen.“ „Gibt es dafür nicht Apps?“ „Klar. Aber der ist komplett analog unterwegs.“ „Hm“, überlege ich. „Eigentlich gar nicht so unsympathisch.“ „Na ja“, sagt Maral. „Ich fühle mich jetzt nicht wie the chosen one. Er ist völlig wahllos.“ „Ist auf den Apps aber doch nicht anders. Da hat man es nur nicht so direkt vor Augen.“

Wir sehen zu ihm rüber. Er spricht gerade mit einer Frau, die den Kopf schüttelt und ihm seine Karte zurückgibt. „Analog zu tindern muss man sich erst mal trauen“, sage ich. „Da hat er meinen Respekt.“ „Versuchst du etwa, mir diesen Prater-Casanova schmackhaft zu machen?“ Ich zucke mit den Schultern. „Er muss ja nicht der Mann fürs Leben sein.“ „Ey“, sagt Maral und sieht mich entrüstet an. „Ich treffe mich doch nicht mit einem Visitenkartenverteiler. Ich bin zwar Single, aber verzweifelt bin ich nicht.“

Daniel Klaus

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