berliner szenen: Eine App zum Türöffnen
Die Straßenbahn rumpelt vom S-Bahnhof Friedrichshagen durch Feld, Dorf und Wald nach Alt-Rüdersdorf. Eine schöne Fahrt für Touristen. Aber auch für Alt-Berliner. Die nutzen an diesem kalten Tag aber nicht viele Menschen.
Ein einsamer Bussard kreist über der Landschaft. Auf einem Grundstück neben der Strecke fährt ein Traktor im Kreis.
An einer Station mitten im Wald hält die Bahn. Und hält. Und hält. Und hält. Nach einer Weile öffnet der Fahrer das Türchen zu seinem Kabuff und ruft ins Wageninnere: „Wenn de aussteigen willst, musste den Türöffner drücken.“ Pause. Nichts geschieht. Der Fahrer setzt wieder an: „Das ist ein Knopf oben links. Da steht ‚Türöffner‘ dran. – Das sind so Buchstaben. – Tut mir leid, ist nicht digital.“
Ich drehe mich um, ob jemand Hilfe braucht. Sind ja nicht alle Menschen BVG-Experten und kennen sich mit Tarifzonen, Tickets und Türöffnern aus. Und manche Fahrgäste verstehen kein Deutsch und sind dann in der Straßenbahn gefangen. Aber da steht eine junge Frau mit Smartphone und Geigenkasten, die beim Einsteigen und Fahrscheinkauf ganz normales Brandenburger Platt geredet hat. Nach den freundlichen Einlassungen des Straßenbahnfahrers gelingt es ihr, die Tür zu öffnen und in die winterliche Kälte zu entkommen.
Ich muss lachen, nicht aus Schadenfreude, sondern weil ich „Berliner Schnauze“ mag. Der Fahrer sieht das restliche Bahnpublikum hinter sich und fügt hinzu: „Die können doch alle nicht mehr lesen, die jungen Leute. Die wischen nur noch an ihrem Smartphone rum und suchen ’ne App, damit die Tür aufgeht. Oder machen einen Screenshot von der Tür. Diese Handys sind doch gigantische Verdummungsmaschinen!“ Dann erst fährt er zufrieden weiter.
Gabriele Frydrych
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