berliner szenen: Berlin noch nicht auf den Beinen
Draußen ist es stockfinster, als ich erwache. Meine Katze hat mich geweckt. Wahrscheinlich hat sie Hunger. Irgendwo in der Wohnung fällt ein Stuhl um. Da fällt mir ein, ich habe keine Katze. Ich muss das Tier geträumt haben. Vielleicht habe ich das Aufwachen auch geträumt.
Zur Sicherheit wache ich ein zweites Mal auf. Es ist Sonntag, so viel weiß ich. Aber wo genau bin ich aufgewacht? Mein Bett sieht nicht nach meinem Bett aus. Kein Wunder. In der Nacht bin ich auf das Gästesofa umgezogen, weil irgendwer eine Party feiern musste.
Um mich vom Frust abzulenken, latsche ich in die Küche und mache mir einen Espresso. Der Weihnachtsprospekt eines tief gestürzten Kaufhausgiganten fällt mir in die Hände. Woher kommt das Ding denn? Bin ich in der richtigen Wohnung? Ich schaue mich um.
Rundherum hängen Fotos aus Kindertagen. Die eine Tochter mit einem Esel auf dem Kinderbauernhof, die andere als Piratin beim Fasching. Wo sind die beiden eigentlich? Seit Tagen habe ich nichts von ihnen gesehen oder gehört. Ich fühle mich deprimiert. Kein Wunder, zwei bitterböse Kriege erschüttern medial den Erdball. Und ein Jahreswechsel steht auch wieder vor der Tür. Die Ballung der Ereignisse macht mir zu schaffen.
Die Piraten-Tochter kommt in die Küche, hoffentlich, um mich zu trösten. Sie ist ganz verschlafen, legt ihre Arme um mich und fragt zuckersüß: „Hey Papsi, waren wir auch nicht zu laut? Hast du gut schlafen?“
Von meinem erzieherischen Auftrag überfordert schlucke ich die nervige Nacht herunter, zusammen mit dem Espresso. Der Espresso ist stark. Er gibt mir Energie. Ich sollte einen Spaziergang machen. Noch ist es früh genug, um wenigstens draußen ungestört in den Tag hinein träumen zu können. Berlin ist noch nicht auf den Beinen. Henning Brüns
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