berliner szenen: Ecken-Urlaub in Steglitz
Mit A. sitze ich auf einer Bank an einer Ecke in meinem Kiez in Steglitz. Wir trinken Apfelschorle, reden nur das Nötigste und gucken uns Passanten an. Grad ist da eine Frau in Weiß mit zwei weißen Hunden. Sie trägt eine große Sonnenbrille, tut so, als würde ihr der Gehweg gehören und rempelt dabei fast eine Frau mit bepackten Einkaufstaschen an. „Blöde Kuh“, wettert die Frau mit den Einkaufstaschen. Die Frau in Weiß geht ungerührt weiter und sieht durch die Sonnenbrille in die Ferne.
Ein Mann mit klirrender Tasche kommt mit einer Taschenlampe und leuchtet in den Abfalleimer. Dann dreht er sich um und sieht auf unsere Flaschen. „Noch zu voll“, sage ich, also zieht er weiter. Die Sonne scheint, irgendwo zirpen Vögel. „Schön, wenn einfach nix passiert, oder?“, sagt A. und blinzelt, als wäre er am Strand und würde aufs Meer gucken. A. und ich waren in diesem Sommer beide nicht verreist. A., weil er zwei Ausstellungen hatte, ich, weil ich keinen Plan hatte, wohin, und überhaupt kann ich es nicht leiden, Urlaub zu planen. „Wusstest du, dass man das Cornern nennt, was wir hier machen?“, fragt A.
Ich schüttle den Kopf. „Super entspannend“, findet A. „Wenn ich mal alt bin, will ich in so ein Heim an einer belebten Straße. Dann sitze ich den ganzen Tag mit dem Kissen am Fenster und sehe mir die Leute an, die vorbeilaufen. Besser als jeder Film“, finde ich.
A. nickt. „Außerdem kennt man alle Nachbarn von oben und weiß vielleicht etwas über sie, das sie selbst nicht wissen“, fahre ich fort. „So ne Art interaktives Wimmelbild“, sagt A. Ich nicke. Dann schweigen wir wieder und cornern weiter. Gerade kommen zwei Kinder vorbei, die sich an der Hand halten, bevor sie über die Straße gehen. Als würden sie im Meer baden gehen. Cornern in Steglitz ist ein bisschen wie Urlaub. Isobel Markus
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