berliner szenen: Wartezeit kreativ verkürzen
Auf der Anzeigetafel vom Gleis 8 steht: Die Fanmeile ist wegen Unwetterwarnung geschlossen. Niemand interessiert sich dafür, denn alle wollen nach Hamburg. Wann wieder mal ein Zug in die Hansestadt fährt, steht in den Sternen, aber nicht auf der Anzeigetafel. Drei Züge sind schon ausgefallen, der Bahnsteig ist überfüllt. Von der Deutschen Bahn ist kein Mensch da.
Da kommt eine extrem gut gelaunte junge Frau die Treppe herunter. Tüllrock, Herzbrille, Megafon. Wow, denke ich. Eine neue Idee der Deutschen Bahn, wartende Kunden*innen bei Laune zu halten! Die junge Frau und ihre Herzbrillen-Peergroup entern den Bahnsteig und kreischen: „Evelyn!“ Es ist ein Junggesellinnen-Abschied.
Inzwischen hat sich die Deutsche Bahn zu einer kryptischen Informationsvermittlung durchgerungen: Der Zug hat 150 Minuten Verspätung. Irgendwann kommt ein leerer ICE wie von Geisterhand auf das Gleis. Bewegung kommt in die Anzeigetafel! Ich lese: Die Fanmeile ist wieder geöffnet. Eigentlich müsste einfach mal jemand von der Deutschen Bahn ganz analog vorbeikommen und was erklären. Das wäre ziemlich genial.
Angeregt durch das Junggesellinnen-Zwischenspiel habe ich noch eine Idee: Da die Deutsche Bahn in ihrem jetzigen Zustand die vielen Verspätungen nicht aus der Welt schaffen kann, könnte sie wenigstens versuchen, den Kund*innen das Warten kreativ zu verkürzen! Mein Vorschlag: Wenn die Wartezeit mehr als zwanzig Minuten beträgt, entern Impro-Theatergruppen die Bahnsteige. Wenn die ihre Sache extrem gut machen, könnte es sogar dazu kommen, dass sich die Kund*innen eine Verspätung wünschen, nur um beim Bahnsteigtheater dabei zu sein! Das könnte man direkt zum Markenkern ausbauen. Passt gut zum uralten Slogan vom Land „der Dichter und Denker“. Katja Kollmann
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