berliner szenen: Kleine Kinder und neue Knie
Familienkonzert in der Berliner Philharmonie: Vivaldis „Die vier Jahreszeiten“ mit Live-Zeichnung und Onomatopoesie. Rechts von mir sitzen Vater und Sohn im roten Glitzerkleid zu braunen Stiefeln.
Links von mir lädt ein mittlerweile erwachsener Sohn seinen Vater auf Krücken ab. Er habe seinen Platz dem französischen Austauschschüler überlassen, erklärt der: „Die Jungs auch mal ein bisschen für Kultur begeistern und nicht immer nur fürs Knallen.“ „Und: Klappt’s?!“ „Beim Großen schon, beim Kleinen nicht. Letztes Mal, als sie anfingen, ihre Instrumente zu stimmen, sagte er: ‚Und das jetzt ’ne Stunde, Opa?!“ Er lacht und sagt: „Ich habe mich immer für Kultur interessiert. Auch damals in der DDR schon. Ich bin auch in die Oper gegangen. Meine Frau nicht. Die hat gesagt: ‚Geh du mal. Ich muss das nicht haben.‘“ Er verstummt erst, als die Berliner Barock Solisten auf Cembalo, Bass, Theorbe, Bratsche und vor allem Geigen zwitschernde Vögel, säuselnde Zweige, plagende Mücken, prasselnde Gewitter, klirrende Kälte und den Schluckauf eines betrunkenen Bauern erzeugen.
Illustrator Mehrdad Zaeri fordert kleine wie große Gäste auf, mit den Ohren zu sehen und mit den Augen zu hören. „Wie soll denn das gehen, Mehrdad?!“, fragt Sprecherin Isabel Karajan. Der zeichnet ein Bild zur Antwort. „Wald!“, rufen die ersten Kinder. „Wald?“, fragt Karajan: „Wie? Wald?“ „Vivaldi!“, ruft mein Sitznachbar, postwendender und lauter als alle Kinder. Erwartungsvoll sieht er mich an: „Sehr gut“, lobe ich und denke daran, was eine Freundin neulich über ihre Eltern gesagt hat: „Im Alter werden sie wieder Kinder.“ Stimmt scheinbar, denn nach 50 Minuten Stillsitzen hibbeln beide Altersklassen: Die einen wegen überschüssiger Energie, die anderen wegen eines neuen Kniegelenks.
Marielle Kreienborg
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