berliner szenen: Besuch unter meinem Bett
Er musste vor der Tür gewartet haben. Als ich mit dem Biomüll in der Hand aus der Wohnungstür trat, spürte ich ein Streichen an meiner rechten Wade. Eher instinktiv blickte ich in die Wohnung zurück und sah den grau gestreiften Stubentiger gerade noch um die Ecke in mein Schlafzimmer flitzen. Beunruhigt stellte ich den nicht gerade rosig duftenden, aber immerhin tropfsicheren Müllsack im Treppenhaus ab und folgte ihm. Wie schon bei seinen letzten Besuchen war er schnurstracks unter meinem Bett verschwunden, saß dort im hintersten Winkel und schaute mich selbstgefällig an. „Ätschibätschi“ dachte er vielleicht. Vielleicht auch nicht. Bei Katzen weiß man das nie so genau.
Es war früh am Morgen und ich war auf mich gestellt. Meine Mitbewohnerin, der es keine Schwierigkeiten bereitet hätte, das Tier aus dem Nachbarhaus, von mitfühlenden Worten begleitet, vor die Tür zu setzen, war verreist. Was also tun? Ich konnte es unmöglich allein in der Wohnung lassen. Was würden die Teppiche dazu sagen? Außerdem hatte ich Verpflichtungen. Die Welt draußen wartete auf mich. Sollte ich etwa unter das Bett kriechen? Womöglich mit einem Besen? Oder es mit Futter herauslocken? Letzteres kam nicht in Frage. In einem Veganerhaushalt gibt es nichts, was eine Katze locken könnte.
Mit einem Mal klingelte es an der Wohnungstür. Als ich öffnete, stand Herr Kohl vor mir, deutete auf den Sack im Treppenhaus und fragte, ob das meine Hinterlassenschaft sei. Herr Kohl war für klare Verhältnisse, daher mitunter eine Nervensäge, aber vor allem war er ein Katzenfreund. Er benötigte keine Minute, um den unerwünschten Gast in seine Arme zu schließen. „Haben Sie eigentlich keinen Staubsauger?“, war alles, was er sagte, als er mit dem schnurrenden Wesen die Wohnung verließ. Henning Brüns
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