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berliner szenenKind, du warst so tapfer

Ich wartete gerade auf eine Freundin, als ich plötzlich eine Frau hörte, die in Kinderstimme sagte: „Du warst soooo tapfer, ich bin ja soooo stolz auf dich.“ Ich drehte mich um und vermutete eine Mutter, die mit ihrem Kind gerade vom Arzt kommt, doch es war ganz anders. Na ja, nicht ganz anders, denn es stimmte, dass eine Mutter diese Sätze zu ihrem etwa zweijährigen Kind sagte, nur verließen sie keine Arztpraxis, sondern eine kleine Bio-Bäckerei.

Ich schaute irritiert, als die Mutter sich wiederholte. „Du warst soooo tapfer. Ich möchte gerne bei dir einschlagen, darf ich?“ Dann ging die Frau in die Hocke, auf Höhe des Kindes, und hob ihre Hand zum High-Five. „Na komm schon, mein Schatz, schlag bei Mama ein!“ Das Kind hob widerwillig seine Hand, die in einem Fäustling steckte, und schlug bei seiner Mutter ein. Nur weshalb?, fragte ich mich. Weshalb muss man beim Bio-Bäcker tapfer sein? Ich konnte mir einfach keinen Reim draus machen.

Ich lief ein bisschen näher zu den beiden, ich wollte unbedingt das Rätsel lösen, bevor meine Freundin kommen würde. „Super“, sagte die Mutter, als sie schließlich das Kind in den Kindersitz auf ihrem Fahrrad hob. „Ich bin wirklich soooo stolz auf dich, dass du es beim Bäcker geschafft hast, nichts Süßes zu essen. Ich hab dir ja schon erklärt, dass es gleich zu Hause Abendbrot gibt.“ Ich drehte mich schnell weg, weil mein Blick inzwischen mehr fassungslos als irritiert wirken musste. Als ich in der Ferne meine Freundin sah, hörte ich noch die Mutter zu ihrem Kind sagen: „Weil du soooo tapfer warst, kannst du dich umso mehr auf die Kita morgen freuen. Denn morgen ist Fasching in der Kita und an Fasching gibt es immer ganz viel Süßes.“ Als das Kind nicht antwortete und stattdessen zu heulen anfing, musste ich ein bisschen schmunzeln. Eva Müller-Foell

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