berliner szenen: Acht Uhr, Treffpunkt Bebelplatz
Treffpunkt Bebelplatz. Ich kann sie, auch zehn nach acht, nirgends sehen. Also lese ich die krumm und schief überklebten Laternenpfosten, während ein Stadtfuchs geduckt über die Straße trabt. „Boxgymnastik bei – Muttersprachlerin“, so das Versprechen zweier zu eng zusammengerückter Zettel. Auf Schnauzenhöhe beschnuppert der Fuchs einen E-Roller, hält sein Beinchen gegen das Gefährt. Der Bahnhof Friedrichstraße atmet in rascher Abfolge Bahnen ein und aus, ich erkenne jeden Zug an seinem Idiolekt.
Um zwanzig nach schreibe ich ihr: ob sie zufällig am Hegelplatz statt am Bebelplatz stehe? Dann schlendere ich zum Spalier der Fahrräder. Der sonst so unerschrockene Fuchs fühlt sich dadurch beim Abendessen gestört. Er eilt davon im Allegro leggiero, vorbei an weiteren Rollern, macht kehrt, mit schwereloser Lunte. Routiniert untersucht er ein Hinterrad, hebt’s Beinchen.
Nun widme ich meine Studien den Drahteseln. Ein gelber Zettel tänzelt an einem entlenkerten, entsattelten, enträderten Stück Stahl: „Der Eigentümer/die Eigentümerin dieses Fahrrads wird aufgefordert, dieses innerhalb von drei Wochen nach dieser Aufforderung vom öffentlichen Straßenland zu entfernen.“ Durch die geöffneten Fenster der Aula wird mir Wagners „Tristan“ heruntergereicht. Der Asphalt glitzert nass im Dunkel, die Rabenkrähen sitzen, müd geworden, in geisterhaften Schwaden hoch oben in den Kastanien des Innenhofs der Alma Mater. Und ich, ich bin müd geworden vom Warten.
Inzwischen ist der „Tristan“ verklungen. Der Fuchs, ein Loner wie ich, markiert den umgestürzten Roller am Eck. Ein Cellist tritt nun aus dem Gebäude, ruft fragend meinen Namen. Ich horche auf. Ein verloren geglaubter Freund. „Ewig nicht gesehn“, lächelt er. Und dann gehen wir noch was trinken.
Felix Primus
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