berliner szenen: Alles stand auf Treibsand
Am Morgen wachte ich in einem verdunkelten Schlafzimmer auf. Neben einer Frau, deren Brustkorb sich hob und senkte, mit einem Hund zu Füßen, der aufsah, als ich ihn, noch halb schlafend, betrachtete. Wer war der schattenhafte Mann auf dem Bild neben der Tür? Paul Cézanne? Oder war das ein Spiegel?
Ich fühlte mich dick und unattraktiv wie nie. Aber es war schön gewesen zu lieben. Der Hund seufzte und ließ die Schnauze sinken, einen Luftkuss später war ich zur Tür hinaus. Draußen war alles, wie es sein sollte. Ein weitläufiges Gelände, ein beruhigender Park.
Der Schmutz war gewichen, es war hell, die Wiesen strahlten in einem ehrlichen Grün. Ich machte mich auf den Weg. Lust hatte ich keine. Ginge es nach mir, bräuchte man keine Arbeit. Arbeit hielt einen nur vom Leben ab, das war eine alte Wahrheit, die ich in mir trug. Man brauchte nur Musik, Musik, Musik, man brauchte Bücher und Reisen, Kino und Bier, Luft und Liebe, etwas Bewegung, etwas Unterhaltung, mehr nicht. Aber das Weltprinzip war ein anderes, für all diese schönen Dinge brauchte man Zeit und Geld. Und mein Leben war prekär, egal ob es die Arbeit oder meine Liebesbeziehungen betraf, selbst meine Freundschaften waren es. Alles stand auf Treibsand, alles verschwand.
Es kostete viel Mühe, das nicht persönlich zu nehmen. Ich war gegen Arbeit, gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen den Staat, die Nation, die Kirche, das Volk und den Krieg; ich war gegen die Familie und gegen die Monogamie. Was mir alles nicht unverständlich erschien. Nicht einzigartig und nicht radikal. Umso seltsamer, mit diesen schlichten Positionen so allein dazustehen. An der Bushaltestelle betrachtete ich die anderen Wartenden. Etwas windschief standen sie da wie fehlplatzierte Verkehrsschilder. Waren sie wirklich so anders? René Hamann
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