berliner szenen: Tag der Radler und der Ratten
Die Sonne scheint, es ist richtig kalt und Berlin ist noch weiß und gleicht einem verzauberten Schneemärchen. Dazu ist heute der Tag der interessanten Menschen in der Ringbahn. Ein Mann mit Helm und einem Fahrrad trägt über seiner Anzughose eine Radlerhose. Er bemerkt meinen Blick, sieht an sich herunter und sagt: „Irgendwann wird sich das modisch durchsetzen. Ich bin mir sicher.“ Ich lache. „Mir ist das zu kalt auf dem Sattel“, erklärt er noch und ich nicke verständnisvoll und sage: „Mir ist grad sowieso alles zu kalt.“
Kurz danach hört man einen spitzen Schrei. Eine Frau in einer roten Daunenjacke guckt eine kleine Frau, die mit einem Rucksack durch die Gänge läuft und nach einer Spende fragt, angewidert an. Ich sehe jetzt auch warum. Die Rucksackfrau trägt eine Ratte in einem Kaffeebecher vor sich her. „Die ist ganz lieb“, sagt sie und drückt dem Tier wie zur Bestätigung einen Kuss auf den Kopf.
„Um Gottes Willen, nee“, ruft die Frau und schüttelt sich richtig. „Ist das etwa eine wilde Ratte?“
„Na jetzt nicht mehr“, sagt die Rucksackfrau und streckt sie der Frau etwas entgegen. „Sie ist zahm.“ „Uh, bleiben Sie mir bloß weg mit der.“
Ein Sitzabteil weiter ruft ein Junge begeistert: „Oh, kann ich sie mal anfassen?“
Die Rucksackfrau geht zu ihm, streckt ihm den Becher entgegen und die Ratte läuft einmal über die Hände des Jungen, schnuppert hier und da und läuft dann wieder zurück in den Becher.
„Igittigitt“, ruft da die Frau von eben, die alles genau beobachtet hat, „jetzt bloß nichts anfassen mit den Ratten-Händen.“ Sie kramt in ihrer Handtasche und reicht ihm dann eine kleine Flasche Händedesinfektionszeug herüber. „Nimm das und mach dir die Hände sauber. Nach der Pandemie brauchen wir nicht gleich die nächste.“ Sie dreht sich um und murmelt: „Womöglich Beulenpest.“
Isobel Markus
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