berliner szenen: Nackte Füße auf dem Bahnsteig
Es ist kalt und ich stehe mit A. und seinem Hund Brutus auf dem S-Bahnhof Schlachtensee. A. ist heute nicht gut drauf. Er findet alles blöd. Den Winter, die Kälte, die Nachrichten, Kommentare auf Social Media, alles ist nur schlimm, und obendrein lässt sein Liebster zu Hause immer die Tüte vom Toast offen. Nachdem ich mir das alles eine Stunde während unseres Spaziergangs um den Schlachtensee angehört habe, frage ich ihn jetzt, ob wir noch einen Tee trinken gehen wollen, und übersehe dabei, dass A. mich vielsagend ansieht.
„Was ist?“, frage ich. „Dreh dich mal um, ich raste gleich aus“, sagt A. Auf der Bank sitzt ein etwa zweijähriges Kind in einem Schneeanzug mit Handschuhen und Mütze, aber mit nackten Füßen. Die Mutter steht ungerührt davor und sieht in ihr Handy. Die kleinen Stiefel des Kindes hat sie obenauf in eine Tasche gesteckt. Das Kind jammert. Seine Füße sind rot.
„Es sind Minusgrade“, sagt A. „Was ist mit dieser Frau los?“ Ich schüttele den Kopf und verstehe es auch nicht.
„Was ist denn?“, sagt die Mutter da zum Kind. Das Kind ruft etwas Unverständliches. „Ja, aber die wolltest du doch unbedingt ausziehen“, sagt die Mutter. Das Kind nickt. A. und ich gucken uns an und er sagt: „Es sind Minusgrade. Da muss man als Erwachsener doch mal eine Grenze setzen und sagen, nein, du behältst deine Schuhe an, egal, was du willst.“ Ich nicke zustimmend. Die S-Bahn fährt ein und die Frau nimmt das Kind an die Hand. Es steht barfuß auf den kalten Steinen. Innen setzten sie sich uns gegenüber und die Frau hält ihre Hände an die kleinen Füße.
„Ist das gesund?“, fragt A. sie da. „Es sieht grausam aus.“
„Ich weiß“, sagt die Frau. „Der Papa ist Eisschwimmer, und Emil will üben.“ Sie zuckt mit den Achseln. „Die Füße sind warm. Ich hab wohl einen Pinguin zur Welt gebracht.“ Isobel Markus
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