berliner szenen: Alles jetzt sehr kompliziert
Es ist kurz vor Jahresende, und ich stehe in der Schlange vorm Postbankautomaten. Eigentlich will ich nur kurz meinen Kontostand checken und einen höheren Betrag auf mein Postsparbuch überweisen. Aber weil nur ein Automat geht, dauert es.
Dann stelle ich mich in die Schlange vorm Schalter. Das geht überraschend schnell, schon trage ich mein Begehr vor, lege Geldkarte, Sparbuch und Personalausweis vor – und warte. Denn die Frau hinterm Schalter muss meinen Ausweis und meine Geldkarte einlesen. Für die Karte, die sie für diesen Vorgang braucht, hat sie den PIN vergessen. Nach dem dritten Versuch leiht sie die Karte ihres Kollegen, der gerade am Nachbarschalter mit Engelsgeduld einem sehr alten Mann irgendetwas erklärt. Ich höre interessiert zu, bis die Frau hinterm Schalter mich fragt: „Haben Sie den PIN für das Konto dabei?“ – „Klar, ist doch mein eigenes“, sage ich verblüfft. „Ach, Sie glauben gar nicht, was wir hier alles erleben“, seufzt sie. In der Schlange hinter mir fragt derweil ein junger Mann, ob man ihn vorlassen könne. „Ich brauch nur eine Briefmarke, und der Automat ist kaputt“. Als er mit der Marke weggeht, empört sich der Kollege: „Wieso haben Sie den denn vorgelassen? Ist der schwanger oder was?“
In der Zwischenzeit kopiert die Frau hinterm Schalter meinen Ausweis und mein Sparbuch. Das dauert. Am Nachbarschalter will jetzt eine Frau ein Paket abholen. Der Postangestellte tippt wie ein Wahnsinniger auf der Tastatur. „Maus ist kaputt, geht jetzt nur so“, stöhnt er. Die Sendung findet er nicht. Derweil bekomme ich alle meine Sachen zurück und muss ein Formular unterschreiben. „Das ist bei höheren Beträgen jetzt immer so kompliziert“, erklärt mir die Frau hinterm Schalter. Ich glaube, es geht um Geldwäsche. Aber es ist mir ehrlich gesagt komplett egal.
Gaby Coldewey
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