berliner szenen: Dieses Schnitzel ist sexistisch
Ich bin Vegetarierin, aber es gibt seltene Gelegenheiten, da esse ich Fleisch. Meist ist das eine Thüringer Rostbratwurst auf einem Jahrmarkt und einmal im Jahr muss es unbedingt Schnitzel sein. Dafür gehe ich dann gern in ein bestimmtes Restaurant, weil dort die Schnitzel genau wie in Wien schmecken. Jedes Jahr schleppe ich also wechselnde Männer mit. Ich schlage vor: „Lass uns Schnitzel essen gehen.“ Finden immer alle gut.
Diesmal trifft es G. Wir bestellen beide Wiener Schnitzel mit Bier und in mir klopft sich ein vorfreudiges Schnitzelgefühl aus, das sich in großem Hunger paniert. Die Bedienung kommt mit den Tellern und da bemerke ich es. Ich gucke von G.s Teller zu meinem und denke, das gibt es doch nicht. „Guck doch mal, wie groß dein Schnitzel ist und wie viel kleiner meins, sicher um ein Viertel“, sage ich zu G. Er guckt hin und her: „Stimmt. Aber du leidest nicht an Fressneid, oder?“ Ich sehe ihn an: „Nie. Aber mir ist das hier schon dreimal aufgefallen, dass die Männer das größere Schnitzel bekommen, obwohl wir Schnitzel ohne Größenangabe bestellt haben.“
„Also ein sexistisches Schnitzelessen“, sagt G. und traut sich kaum den ersten Bissen zu nehmen.
„Vielleicht“, sage ich. Wir unterhalten uns darüber, ob es die Bedienungen sind, die annehmen, dass Männer die größere Portion brauchen, so wie sie auch fälschlicherweise oft den Aperol Spritz vor mich stellen und das Bier vor mein männliches Gegenüber, oder ob es ein System gibt.
„Vielleicht wird bei der Bestellung eine Notiz für Frau und Mann hinzugefügt und in der Küche wird das Schnitzel dementsprechend ausgesucht“, überlege ich. „Willst du dich beschweren?“, fragt G. Aber ich schüttele den Kopf: „Dauert jetzt zu lang. Ich hab Hunger. Ich warte bis nächstes Jahr und esse heute von deinem Teller mit.“
Isobel Markus
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