berliner szenen: Danke fürs Zuhören
Wollen Sie nicht lieber in der Sonne sitzen?“, spricht mich ein Mitarbeiter im Dönerladen an: „Wir haben im Hof noch Tische in der Sonne.“ Unentschlossen ziehe ich in den Hof um. Der Mann bringt eine Flasche Wasser: „Geht aufs Haus.“ Er bleibt in einem Meter Abstand stehen, zündet sich eine Zigarette an und meint: „Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin.“ Er nimmt einen Zug von seiner Zigarette und erklärt dann: „Meine Frau ist vorgestern gestorben.“ Sie habe eine seltene Muskelkrankheit gehabt: „Am Ende war sie vollständig gelähmt.“
Zehn Jahre habe er sie zu Hause gepflegt, zehn Jahre gemacht, was gerade anfiel: „Mal wollte sie einen bestimmten Kuchen, da bin ich gesprungen. Mal wollte sie an den See. Da habe ich sie an den See gefahren. Mal wollte sie nicht, dass ich das Haus verlasse. Da bin ich geblieben.“ Er habe alles auf ihre Bedürfnisse umgestellt: „Und dann hieß es, auf der Palliativstation sei sie besser aufgehoben als bei mir.“
Er schluckt. „Jetzt ist sie weg und ich weiß nicht, was ich hier soll. Helfe eigentlich nur ab und an, um mal rauszukommen. Eine richtige Stelle war neben der Pflege nicht drin.“ Er drückt seine Zigarette aus und wirft sie weg. „Ich müsste jetzt eigentlich das Laub harken.“ Er seufzt. 62 Jahre sei seine Frau geworden: „Das ist doch heutzutage kein Alter!“ Seit ihrer Erkrankung hätten sie sich alles vom Mund abgespart: „Und jetzt ist sie tot und ich muss mit dem letzten Ersparten die Beerdigung zahlen.“ Das müsse man sich mal vorstellen: „Da muss man dafür zahlen, dass andere an seinem Grab feiern.“
Als ich losgehen muss, habe ich ein schlechtes Gewissen. Er aber nickt: „Danke fürs Zuhören. Und keine Sorge: Wenn Sie nochmal kommen, lasse ich Sie in Fried. Ich musste das nur einmal loswerden.“
Eva-Lena Lörzer
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