berliner szenen: Freude über die Farben der Tasche
In einem der Vierersitze in der S-Bahn sitzt eine ältere Frau, die von Kopf bis Fuß in Beige und Creme gekleidet ist, der einzige Farbtupfer ist ein roter Regenschirm, den sie auf ihrem Schoß hält. Ihr gegenüber sitzt ein junges Pärchen. Ich schätze die beiden auf 17 oder 18. Sie tragen beide coole, weißblonde Undercuts, viel zu große Männerhemden und sehen irgendwie aus wie den 1980ern entsprungen. Ab und zu ziehen sie sich die Masken herunter, um sich zu küssen, dann finden sich ihre Hände wieder. Offenbar sind sie ganz frisch verliebt. Ich muss lächeln, weil es so schön ist, ihr Glücklichsein zu sehen.
Die alte Dame schüttelt die letzten Regentropfen von ihrem eingeklappten Schirm, legt ihn sorgfältig zusammen, befestigt ihn mit dem schmalen Klettband und holt aus der Handtasche eine zusammengefaltete Einkaufstasche. Es ist eine Regenbogentasche.
Die beiden jungen Frauen gucken auf die Tasche und lächeln die alte Dame an, die ihren Schirm in die Tasche packt und dann zu den beiden sagt: „Die ist schön, nicht? Sie wurde aus lauter alten Regenschirmen genäht. Ich kenne die Künstlerin, die das macht.“ „Sehr schön“, sagt die eine junge Frau „und so wichtig.“
„Ja“, nickt die alte Dame, „bei dem, was jetzt überall passiert. Man darf ja nicht mehr so viel wegwerfen, für die Umwelt.“
„Unbedingt“, sagt die andere junge Frau „das auch“. Die beiden schweigen. Dann sagt sie: „Aber ja auch weil es ein Regenbogen ist.“
„Ach so“, sagt die alte Dame, guckt auf die Tasche: „Da können Sie mal sehen, das habe ich bislang noch gar nicht bemerkt. Mir gefiel bloß, dass das mal alte Regenschirme waren.“
Die beiden Frauen lachen.
Als ich aussteige, bin ich immer noch nicht sicher, ob die drei wirklich über dasselbe gesprochen haben. Aber vielleicht ist das manchmal auch egal. isobel markus
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