berliner szenen: Lobgesänge auf einen Hund
Er hat ja auch schon Preise gewonnen“, meint die alte, blonde Dame, als meine Tochter ihren Dalmatinerrüden für sein Ausweichen lobt. Ich halte die Luft an und versuche, meine Tochter zum Weiterradeln zu bewegen. Ich kann die Leier der alten Dame mittlerweile schon auswendig: „Er ist reinrassig, über drei Generationen nur das beste Blut, hat alle Papiere, ist ständig als Deckrüde gefragt…“ Meine Tochter denkt sich nichts bei dem Rassegerede. Mir aber wird zunehmend flau im Magen.
Seit einer Weile begegnen wir der Frau und ihrem Hund ständig: beim Beeren sammeln, am Badesteg, auf dem Weg zum Supermarkt, auf dem Weg zur Schule. Erst habe ich mir bei ihren Lobgesängen auf ihren Dalmatiner nichts gedacht: Ich kenne viele Hundebesitzer*innen, für die ihre Hunde wie Kinder sind und finde nichts Ungewöhnliches daran, alles über die Leiden und Vorlieben der Nachbarshunde zu erfahren.
Hellhörig wurde ich bei der Damaltinerbesitzerin erst, als sie einmal erklärte, dass Corona eine Kampagne der Regierung sei, die Menschen willfährig zu machen. Seitdem denke ich, wann immer sie von der „lupenreinen Ahnentafel“ ihres Hundes schwärmt, immer an die Nähe zwischen Querdenkergeschwurbel und rechten Ideologien. Und an den Schüler, der mich nach einer Stunde über den Holocaust fragte, ob es nach all dem, was in Deutschland passiert ist, bei Hunden in Ordnung sei, von Rassen zu reden. Ich hatte ihm lachend versichert, dass es bei Hunden etwas anderes sei als bei Menschen.
Jetzt, da die Dame meiner Tochter zum hundertsten Mal erklärt, wie lupenrein der Stammbaum ihres Dalmatinerrüden sei, muss ich wieder an seine Frage denken. Ich zische genervt: „Mischlinge sind oftmals klügere Hunde“, und ziehe meine Tochter schnell weiter.
Eva-Lena Lörzer
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