berliner szenen: Streifen auf zwei Rädern
Es ist Rot“, höre ich eine Stimme rufen. Das gilt wohl mir. Ich fahre auf dem abgeteilten Radweg zwischen Straße und Bürgersteig. Weit und breit niemand zu sehen, kein Mensch, kein Auto – ich lasse mein Rad einfach rollen. „Es ist Rohot“, höre ich die Stimme wieder. Mich nerven diese Zeitgenossen mit moralischem Lehrauftrag. Meine Stimme klingt wahrscheinlich nicht weniger gereizt. Ohne mich umzudrehen, stöhne ich: jaahaa. „Dann bleiben Sie gefälligst stehen.“ Das tue ich sofort, als neben mir eine gelbe Warnweste leuchtet. Eine Polizistin auf Streife, zusammen mit einer Kollegin auf nagelneuen Rädern. Jetzt hilft nur noch Abbitte leisten. „Sie haben recht, einfach dumm von mir.“ Ich lasse mich willig belehren und reagiere erschrocken, als die Polizistin mit 80 Euro droht, die sie mir diesmal noch erlassen will.
Nachmittags eine andere Fahrradstreife im Regierungsviertel. Ein Polizist, zwei junge Kolleginnen. Erst stoppt er einen Mopedfahrer auf dem Radweg. Der gerät richtig in Panik, als fürchte er eine Beschlagnahmung. Seine Hände fliegen im Rechtfertigungsmodus hoch und runter. Als Nächstes hält der Polizist eine Radfahrerin an. Sie hat die mehrfache Aufforderung nicht gehört, der Beweis für sein Monitum: ihre dicken Kopfhörer sind gefährlich. Stumm guckt sie ihn an, sie versteht ihn nicht. Jetzt muss sie sich ausweisen. Aha, aus San Francisco. Da darf man das? Die Touristin antwortet englisch, ihr Lächeln rettet sie. Aber was macht der Polizist jetzt mit der Standpauke, die ihm schon auf den Lippen lag? Er dreht sich zu den beiden Kolleginnen, die währenddessen gelangweilt in ihren Telefonen gescrollt haben. Ich höre nur Wortfetzen: unprofessionelles Verhalten, mit Konsequenzen rechnen. Da bin ich ja gut davon gekommen bei meinem morgendlichen Weghören.
Claudia Ingenhoven
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