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berliner szenenDieSchach-blindheit

Sieben Tage war er weg gewesen. Wie immer nach dem Krankenhaus sieht M. gesünder aus. Mit roten Bäckchen, wie ein Wintersporturlauber, sitzt er in seinem Rollstuhl vor dem Balkonfenster. Auch kann er sein Feuerzeug wieder bedienen. Zumindest dieses, schränkt er ein. Die Wohnung ist geputzt; praktisch zweckdienlich arrangiert trocknen die gebrauchten Teebeutel hinten in der Küche auf einem Teller, neben, auf und in einem leeren Marmeladenglas. Ich stecke mir welche ein. Wir trinken Tee, essen Kekse, rauchen und besprechen den Stand der Dinge. Leider ist der Deckel der hübschen kleinen Teekanne zerbrochen. Im Hintergrund läuft die Bundesliga. Seine Stimme klingt frischer als sonst. Er hatte sich nicht melden können, weil das Handy im Zimmer geblieben war.

Ich erzähle von der Schach-WM; dem längsten Spiel der Schach-WM-Geschichte; wie ein kleiner Fehler 50 Züge später oder so zur Niederlage geführt hatte. Schachblindheit ist so ähnlich wie die berühmte Geschichte „Der entwendete Brief“ von Edgar Allan Poe; das Gesuchte liegt so offensichtlich da, dass man es übersieht. Erst als jemand ruft, der Kaiser ist nackt, sieht man seine Kleidung nicht mehr.

Es ist schön, wieder zusammen am Brett zu sitzen. In der Mitte unserer Partie kommt K. vorbei. Sie hat eine Schreibtischlampe dabei, die sich an der Fensterbank befestigen lässt. Das Licht ist ganz gut. M. bedankt sich lobend. So eine gute Schreibtischlampe hab ich nicht, sagt K. Ich sage dasselbe. Dann spielen wir unsere Partie zu Ende. Ich bin so sicher, zu gewinnen, dass ich fast verliere. Ich sage, zu zweit spielt ihr schlechter als alleine. Und M. erzählt noch mal im Ton eines 16-Jährigen, der einem 14-Jährigen imponieren will, wie sie mit 13 oft nach der Schule drei Bier in der Kneipe getrunken hatten. Detlef Kuhlbrodt

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