berliner szenen: Die dümmste aller Künste
Erst scheint es so, als würde dieser Nachmittag danebengehen. M. kann das Feuerzeug, dass ich ihm auftragsgemäß mitgebracht habe, leider nicht bedienen. Deshalb gibt er es mir zurück. Als wir später gerade angefangen haben zu spielen, kommt K. Sie hat Kuchen mitgebracht, aber nicht die zwanzig Euro, die sie ihm schuldet. Er schimpft ein bisschen. Sie fährt wieder weg.
Wegen der Polyneuropathie kann er nicht mehr drehen, sondern muss Schachtelzigaretten rauchen und es ist kompliziert, sich Geld am Automaten zu holen und kostet immer fünf Euro. Eigentlich hat es ihm gutgetan, wieder mit dem Rauchen anzufangen. Mehr als ein Jahr war er nicht mehr im Krankenhaus gewesen. Wir spielen weiter. Es sieht gut aus für ihn. Ab und zu singt er ein altes Lied von den Rolling Stones vor sich hin „what am I gonna do … what am I gonna do“, obwohl er Musik eigentlich für die dümmste aller Künste hält. Später hat er tatsächlich gewonnen. K. ist nun auch wieder da. Wir essen Kekse, trinken Tee. M. erzählt, wie er zweimal durch sein Germanistik-Examen gefallen war. Aus Prüfungsangst. Dann hatte ihn ein Freund eine Woche gecoacht und es ging. Examensarbeiten für Freude zu verfassen war ihm leichter gefallen; sein größter akademischer Erfolg in diesem Sinne war eine Doktorarbeit in Medizin gewesen. Ich höre leicht genervt zu, weil ich keinen Abschluss habe. Später spielt er tatsächlich gegen K. Das erste Mal seit Jahrzehnten, dass er gegen jemand anderen spielt als mich. Ich beobachte die Partie, wie ein Trainer. Komisch, Dinge zu sehen, die andere nicht sehen, obgleich man doch aufs gleiche Bild schaut.
M. gewinnt wieder. Die Stimmung ist prima. Wir rauchen drei kleine Joints, die K. in einem schönen kleinen Zigarettenetui gefunden hatte. Sie geht, bevor ich gehe, wir spielen noch eine Partie.
Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen