berliner szenen: Regen. Regen. Und Liebe?
Ich erreiche gerade noch den Späti und stelle mich unter das Vordach. Es schüttet wie aus Kübeln. Die Welt hinter dem Wasservorhang verschwimmt zu hellgrauen Schlieren. Ich schaue auf meine eigentlich weißen Sneakers, sie sind grau verschmiert. Neben mir kommt ein Mann aus dem Späti. Er trägt einen Schnurrbart und eine Schiebermütze, hält eine Pfeife in der Hand und beginnt sie zu stopfen.
„Dit wird heute nichts mehr mit dem Wetter“, sagt er. Ich ziehe ein bekümmertes Gesicht und sehe ihn an. „Meint er drinnen.“ Er zeigt mit der Pfeife hinter sich. Ich folge seinem Blick. Drinnen steht der Spätibesitzer und schaut in sein Handy. „Ne große Regenfront“, sagt er. „Schifft bis heute Nacht.“ Ich stöhne leise: „Na wunderbar.“ „Joa“, sagt er, „Sie können jetzt gehen oder nachher, nass werden Se so oder so.“ Ich nicke. „Tolle Aussichten.“
Er lacht, als hätte ich einen großartigen Witz gemacht, das nimmt mich ein bisschen für ihn ein, also sage ich: „Ich frage mich schon, ob es überhaupt noch mal Sommer wird in diesem Jahr.“ „Ja, doch“, meint er, zündet sich ausgiebig die Pfeife an und guckt zuversichtlich. Der Tabakrauch zieht süßlich zu mir herüber. „Dit kann man sich nur nicht vorstellen.“„Hm“, mache ich. „Is wie im Winter. Da kann man sich auch nicht vorstellen, im Hemd rumzulaufen. Aber im Sommer denkste nich, wie einem kalt sein kann.“ Ich nicke. „Ist, wie wenn man sich verliebt. Da fühlt man keene Traurigkeit. Und andersrum.“
Er lacht auf. „Kommt aber immer allet wieder. Ob man nun will oda nich.“ Er guckt mich an. Ich lächle versonnen. „Na sehen Se“, sagt er zufrieden und pafft an seinem Pfeifchen, „wird also noch mal Sommer.“ Danach stehen wir schweigend nebeneinander und sehen dem Regen zu, bis ich nach Hause gehe und dabei nass werde.
Isobel Markus
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